Gespräch mit Autor Ben Marcus
Der New Yorker Autor Ben Marcus entwirft in seinen Geschichten oft beängstigende Szenarien. Bekannt geworden ist er mit seinem Roman "Flammenalphabet", einem surrealen Thriller, in dem Sprache zur tödlichen Infektionskrankheit wird und Eltern am bloßen Sprechen ihrer Kinder erkranken.
8. April 2017, 21:58
Jetzt ist ein neuer Erzählband von Ben Marcus erschienen: "An Land gehen". Die Grundstimmung ist auch hier wieder pessimistisch.
Kulturjournal, 17.10.2013
Familien sind dysfunktional, Menschen reden aneinander vorbei und nicht näher definierte Katastrophen sorgen für ein Zersplittern der Gesellschaft. Ben Marcus ist aber nicht nur Autor, sondern unterrichtet auch Creative Writing an der New Yorker Columbia Universität. Wegen des besonderen Tonfalls seiner Geschichten pilgern die Studenten dort in Scharen zu ihm.
Wolfgang Popp: Ben Marcus, ihr Kurzgeschichtenband hat den Titel "An Land gehen". Mir kommt das sehr ironisch vor, denn beim Lesen der Erzählungen hat man eher das Gefühl, den festen Boden unter den Füßen zu verlieren.
Ben Marcus: Der Titel stammt aus einer meiner Geschichten. Da sagt eine Figur, unsere Vorfahren hätten nie das Meer verlassen sollen, denn damit hätten alle unsere Schwierigkeiten begonnen. Dieser Mann wirft also nicht nur einen Blick zurück auf seine eigene persönliche Geschichte, sondern auf die Geschichte der Welt und er überlegt, was in der Entwicklung der Menschheit schief gelaufen ist und wie wir zu den Wesen wurden, die wir sind. Mit dem Titel wollte ich deshalb zwei sehr gegensätzliche Stimmungen erzeugen. Er sollte idyllisch und harmlos klingen, gleichzeitig aber auch beängstigend.
Es herrscht eine pessimistische Grundstimmung in ihren Geschichten. Vor allem scheint es kaum einen Zusammenhalt zwischen ihren Figuren zu geben. Und das sogar häufig innerhalb von Familien?
Familien stehen häufig im Zentrum meiner Geschichten, weil dort hochinteressante Verhältnisse herrschen. In einer Familie werden einem die schlimmsten Dinge verziehen. In unserem Job könnten wir es uns niemals leisten, einen Tobsuchtsanfall zu bekommen und herumzuschreien. Innerhalb einer Familie gibt es aber diesen Schutzmechanismus. Das ist zwar zum einen beruhigend, zum anderen erlaubt es einem aber, dass man sich innerhalb der Familie wie ein Tier benimmt.
Hat der pessimistische Grundton in ihrem Schreiben auch etwas mit 9/11 zu tun? Oder allgemeiner gefragt: Haben sie das Gefühl, dass diese Katastrophe die amerikanische Literatur maßgeblich verändert hat?
Nach dem 11. September standen alle Schriftsteller vor der Frage, wie man mit diesem Ereignis umgehen sollte. Keiner konnte einfach weitermachen, als wäre nichts geschehen. Diese Katastrophe war so fundamental, dass sie die gewohnten Verhältnisse völlig auf den Kopf stellte. Viele Autoren standen voller Zweifel vor ihren gerade abgeschlossenen Romanen. Für sie hatten sie mit einem Schlag ihre Kraft und ihre Gültigkeit verloren. Alles musste jetzt neu betrachtet werden. Dieses Neuüberdenken der Verhältnisse war aber unglaublich wichtig für die U.S.A., weil unser Land so wohl behütet war und das zu einer Passivität und einem Verhalten geführt hatte, das sich völlig vom Rest der Welt unterschied.
Mir kommt es vor, als hätte 9/11 dafür gesorgt, dass viele amerikanische Schriftsteller dem Realismus den Rücken zukehrten.
Es scheint wirklich, als ob viele Romane der letzten Jahre dystopische Gesellschaften beschreiben würden. Es ist fast so, als würde es da derzeit einen Zwang geben, apokalyptische Verhältnisse heraufzubeschwören. "The Road" von Cormac McCarthy und "Cosmopolis" von Don De Lillo sind zwei ganz bekannte Beispiele, die Liste lässt sich aber endlos fortsetzen. Das Reizvolle an dystopischen Romanen ist, dass sich hier neue Arten die Welt zu sehen beschreiben lassen. Ob diese Flut an derartigen Büchern auf 9/11 zurückzuführen ist, traue ich mich nicht zu sagen. Aber in fünfzig Jahren werden wir vielleicht zurückblicken und sagen, das war ja offensichtlich, dass sich dieses Ereignis so auf die Literatur auswirken musste.
Sie unterrichten Creative Writing an der New Yorker Columbia Universität. Wie hat sich eigentlich die Finanzkrise auf die Studentenzahlen ausgewirkt?
Die Studentenzahlen sind gestiegen. Scheinbar hat das damit zu tun, dass viele junge Leute, die plötzlich ohne Jobaussichten dastanden, zurück an die Hochschulen gingen. Was mich damals gewundert hat, ist aber, warum sich so viele für Creative Writing entschieden haben. Man nimmt ja an, dass in Zeiten der Krise eher sichere Studien wie Medizin oder Jus bevorzugt werden und nicht eine künstlerische Ausbildung.
Und wie begegnen ihre Studenten den herrschenden Verhältnissen?
Auf eine bestimmte Weise gehen sie ganz nüchtern mit der derzeitigen Situation um. Sie scheinen sich ganz sicher darin zu sein, Schriftsteller werden zu wollen. Das ist romantisch und schön, von Menschen umgeben zu sein, die dem Schreiben einen derart großen Stellenwert geben. Aber gleichzeitig ist es natürlich völlig verrückt, denn eigentlich ist es die blödeste Idee, die man heutzutage haben kann.
Das hört sich an, als würde es da eine neue Generation Unangepasster geben, fast eine neue Beat-Generation?
Ich glaube nicht, dass es ihnen wie den Beats darum geht, einen neuen Lebensstil zu erfinden. Ich scherze mit meinen Lehrerkollegen oft darüber, wie vernünftig unsere Studenten sind. Sie nehmen keine Drogen und oft hat man das Gefühl, dass sie nicht einmal Sex haben. Sie wirken immer so ernsthaft und fokussiert und fleißig. Mit der Beat-Generation haben sie für mich deshalb wenig gemeinsam. Sie betreiben eher eine Professionalisierung des Künstlerberufes und die kann man beängstigend finden oder aber auch aufregend.