Neue urbane Räume des Do it yourself
Stadt der Commonisten
Das Wort "Commonisten" ist eine Anspielung auf Commons, dem englischen Ausdruck für Gemeingut oder Allmende. Beim Konzept der Commons geht es vor allem um Räume, die wieder zugänglich gemacht werden. In einer Zeit, da Security-Firmen den um sich greifenden Anspruch auf private Nutzung sichern, schickt sich eine Bewegung an, Räume für die Gemeinschaft zurückzuerobern.
8. April 2017, 21:58
Selbstbau-Werkstätten und Gemeinschaftsgärten
Der Fotoband "Stadt der Commonisten" erschließt sich nicht unmittelbar, nicht gleich beim ersten Durchblättern. Erst nach und nach erkennt man die Bedeutung und den Wert dieses Buches. Am leichtesten zugänglich sind noch die Fotos verschiedener Gemeinschaftsgärten in Städten wie Berlin oder Leipzig. Sie zeigen improvisierte Idyllen, deren Erfolg sich nicht an der Menge des geernteten Gemüses bemisst, sondern an der Freude am gemeinsamen Tun.
Neben den Gartenbildern finden sich künstlerische Fotos von Selbstbau-Werkstätten für Lastenfahrräder, von Events wie knit nites - also Nächten, in denen man gemeinsam strickt, Porträts von Musikerinnen und Impressionen einer Schrott-Regatta mit aus Müll gebauten Wasserfahrzeugen.
Zwischen den Fotos stößt man auf Textseiten mit einem Glossar von wichtigen Begriffen der Commons-Bewegung. Es reicht von A wie Allmende-Kontor - eine Berliner Anlaufstelle für urbane Gemeinschaftsgärten, über Begriffe wie Couchsurfing, Einkochen, Erdöl, Kleidertausch, Lasercutter, Outdoorküche, Repair-Café, bis zu Z wie Zwischennutzung.
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Medienkunstprojekte, Science Slams (unterhaltsame Forschungsvorträge für alle) oder Knit Nites profitieren vom speziellen Charme der Lokalitäten im Transitstadium. Für Gemeinschaftsgärten hingegen ist diese Form der Nutzung schwierig, da sie im Handumdrehen zu Habitaten für Mensch und Tier werden, die nach konstanter Präsenz verlangen. Waren viele Projekte zunächst euphorisiert von den temporären Nutzungsofferten - schließlich passen sie perfekt zum nomadischen Ansatz -, ist man heute eher ernüchtert. Soziale Beziehungen sind eben nicht so mobil wie Container und Tetrapaks. Nur selten ziehen sie den Nomaden hinterher. Zwischennutzungen mögen der Aufwertung einer Fläche dienen; für Gemeinschaftsgärten sind langfristige Pachtverträge das Mittel der Wahl.
Eine neue Kultur des Miteinander
Am Ende des Buches erklärt das Autorinnen-Trio, welche Impulse und Überlegungen zu seiner Entstehung geführt haben. Wenn man den Fotoband dann noch einmal betrachtet, versteht man, dass die vielen unterschiedlichen, in Bild oder Text dokumentierten Phänomene in den Augen der Autorinnen Elemente einer neu entstehenden Kultur bilden. Die Idee zu diesem Projekt, so schreiben Andrea Baier, Christa Müller und Karin Werner, kam ihnen im Sommer 2012 im Leipziger Gemeinschaftsgarten Querbeet.
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Wir betrachten diese Projekte als Seismographen für ein wachsendes Unbehagen angesichts der marktwirtschaftlichen Durchdringung tendenziell aller Lebensbereiche.
Der Fotoband "Stadt der Commonisten" gleicht einem Reiseführer zu Low-tech-Gemeinschaftsgärten, aber auch zu kollektiv betriebenen High-tech-FabLabs. FabLabs, was sich vom englischen fabrication laboratory ableitet, sind offene, demokratische Werkstätten, die mit 3-D-Druckern etc. ausgestattet sind und Privatpersonen industrielle Produktionsverfahren für Einzelstücke zur Verfügung zu stellen.
Wege aus dem Kapitalismus
Es ist ein Reiseführer - geschrieben von drei Soziologinnen mit ihrem typischen Jargon. Den zentralen Begriff des Glossars "Commons" definieren sie mit folgenden Worten:
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Die Welt erlebt einen historisch beispiellosen Kapitalismus, dessen Logik darin besteht, die Auspressung aller denkbaren Ressourcen zu belohnen und darauf zu wetten, wie gut dies jeweils gelingt. Die Bewertung kennt keine Gegenwart, keine Erfahrung und keine Lebenswelt, sondern nur die Erwartung zukünftigen Gewinns.
Gegen diese Machtkonzentration wendet sich die Commons-Bewegung und sucht nach Wegen aus der Marktideologie und ihrem Denken. Commons, Gemeingüter, Allmenden - all diese Begriffe bezeichnen den kollektiven Versuch, den Marktliberalismus und die damit verbundene Handlungsrationalität des Homo oeconomicus zu dezentrieren und durch demokratische Praxen in Gesellschaft und Ökonomie zu konterkarieren: Commons-Praxen suchen nach Formen der Kollaboration jenseits des exkludierenden Ökonomismus einer Stadt der Investoren.
Trotz der etwas sperrigen Texte regt dieser Reiseführer zu einer neuen Kultur des Teilens die Phantasie an. Dieser Bildband des Unfertigen, Experimentellen und Spielerischen vermittelt eine Ahnung davon, wie ganz anders Menschen miteinander und mit den Ressourcen der Erde umgehen könnten. Und er vermittelt Lust zum Do it yourself oder zum Do it together, Lust darauf, selbst Stricknadel, Schraubenzieher oder einen Spaten in die Hand zu nehmen.
Service
Andrea Baier, Christa Müller und Karin Werner, "Stadt der Commonisten - Neue urbane Räume des Do it yourself", Transcript Verlag
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