Frankreich: Bretagne in der Wirtschaftskrise

Frankreichs Volkswirtschaft, die zweitgrößte in der EU, ist noch immer in Schwierigkeiten. Das trifft auch eine Region, die lange Zeit recht gut durch die Krise gekommen ist: die Bretagne, das Zentrum der französischen Lebensmittelproduktion. In dieser Sparte haben in den vergangenen Monaten Tausende Menschen ihre Jobs verloren. Die französischen Betriebe zerbrechen an der Konkurrenz aus Deutschland, wo Großschlachtbetriebe mit Billigarbeitskräften aus Osteuropa die Preise drücken.

Morgenjournal, 19.10.2013

Aus Frankreich berichtet ORF-Korrespondent

Hoffnungslosigkeit

"Was machen sie denn, die Abgeordneten im Parlament? Nichts tun sie für uns. Sie schieben sich die heiße Kartoffel zu und wir, was sollen wir machen, um weiter hier leben zu können?" Vor der Abgeordneten des Wahlkreises der Schrei der Verzweiflung einer der 900 Entlassenen im fleischverarbeitenden Unternehmen GAD, das in Lampaul, im Herzen der Bretagne, fernab von den Touristenstränden, seit sechzig Jahren existierte, wo bis heute ganze Familien arbeiteten und es so gut wie keine anderen Arbeitsmöglichkeiten gibt.

"Wir wissen nicht, wie wir uns aus der Affäre ziehen können", sagt eine schwangere Arbeiterin, "wir können so viel nachdenken wie wir wollen, hier Arbeit zu finden, ist unmöglich." Ihr Vater fügt hinzu: "In der Nahrungsmittelindustrie gibt es doch überhaupt nichts mehr, der ganze Norden der Bretagne wird sterben."

Nicht gut auf Deutschland zu sprechen

Ein gewisser Zynismus am Rande: Den Entlassenen wurde schriftlich angeboten, eventuell in anderen Ländern arbeiten zu können. Die Länder, in denen der Mann angeblich eingestellt hätte werden können sind Rumänien, Spanien, Ungarn, Italien, Deutschland, England und Österreich. Man habe ihn sogar nach seinen Lohnvorstellungen gefragt: "Na ja, 20.000 Euro?", sagt er mit bitterem Lächeln, knüllt das Schreiben zusammen und wirft es weg. Sein Kollege knurrt: "Wie üblich hält man uns zum Narren."

Eines ist gewiss: Auf Deutschland ist man in diesem Teil der Bretagne ausgesprochen schlecht zu sprechen, sogar das alte Schimpfwort "Boche" ist wieder zu hören.

Lohndumping beim Nachbarn

Deutsche Großschlachtereien, die mit Hungerlöhnen für Arbeitssklaven aus Osteuropa Lohndumping praktizieren, werden für den Niedergang der bretonischen Unternehmen verantwortlich gemacht.
Unternehmen, die in Brüssel gegen Deutschland auch Klage eingereicht haben. Der Direktor der Fleischkooperative Arc Atlantique: "In den deutschen Unternehmen arbeiten achtzig, neunzig Prozent ausländische Arbeitnehmer, die dem Unternehmen sieben Euro die Stunde kosten. Hier sind es zwanzig, das Dreifache. Das ist absolut unhaltbar." Für seinen Betrieb bedeute das einen Nachteil von zwanzig Millionen pro Jahr und das gehe jetzt schon fünf bis sieben Jahre so.

Ein Kollege aus einem anderen Schweineschlachthof bringt es so auf den Nenner: "Die Deutschen verkaufen dasselbe Produkt an unsere traditionellen Kunden für 2,70 Euro, für sechzig Cent weniger als wir, das sind zwanzig Prozent."

Nicht nur Lebensmittelindustrie betroffen

Der Geflügelgroßhändler Doux, der in der Region tausend Angestellte entließ, war angeblich durch die brasilianische Konkurrenz dazu gezwungen. Doch auch in anderen Sektoren der Region sieht es schlecht aus: Peugeot schließt die Hälfte seiner Fabrik in Rennes und selbst die Hightech-Region um das nordbretonische Lannion steckt durch chinesische Konkurrenz in Schwierigkeiten.

Schon lange vor Ausbruch der Krise im Sektor der Agrarindustrie mussten auch hunderte bretonische Schweinezüchter sang- und klanglos aufgeben. 1,85 Euro pro Kilo Schwein bräuchten sie, um überleben zu können. Der Kurs an der Fleischbörse liegt derzeit bei 1,40 Euro. Zu diesem Klima passt eine erschreckende Zahl, die in diesen Tagen veröffentlicht wurde: Pro Tag nimmt sich in Frankreich im Schnitt mindestens ein Landwirt das Leben.