Sacro GRA

Mit diesem Film von Gianfranco Rosi, der bei den heurigen Filmfestspielen von Venedig gezeigt wurde ist erstmals ein Dokumentarfilm mit dem goldenen Löwen für den besten Film ausgezeichnet worden. In seinem Film holt Rosi den Alltag von unterschiedlichsten Menschen, die entlang eines Autobahnrings leben, auf die Leinwand. Zurzeit gastiert er mit seinem Film bei der Viennale.

Ein Sanitäter zwischen nächtlichen Einsätzen und Besuchen bei seiner kranken Mutter. Ein Fischer am Tevere ärgert sich über die angeblichen Experten, die in der Zeitung über seinen Beruf schreiben.
Oder ein Adeliger in seiner Villa, zwischen goldener Badewanne und antikem Sessel, wo er stolz die Liste seiner Ehrentitel vorliest.

Gianfranco Rosi beobachtet und begleitet, blickt in den Alltag, in die Wohnungen von Menschen, die entlang des GRA leben. Und er findet dabei immer die richtigen Bilder, mit der nötigen Distanz zu seinen Protagonisten, und doch immer aus unmittelbarer Nähe gefilmt. Vor dem Beginn der Dreharbeiten habe er dabei monatelang Drehorte und Protagonisten besucht, kennengelernt, und Vertrauen aufgebaut, erzählt Rosi.

"Wenn ich damals zu jemandem gesagt habe ich drehe, dann war das nicht ein Drehen mit einer Kamera, sondern ein mich drehen um den Raccordo Anulare, um Schauplätze und Menschen. Ich habe mir so meine eigene Landkarte von Geschichten angelegt. Und letztlich ist der Autobahnring im Film nur noch ein narrativer Vorwand aus dem dann diese einzelnen Geschichten herauswachsen."
Er kommt dabei ohne Interviews aus, ohne eine erklärende OFF Stimme. Stattdessen lässt er seine Protagonisten erzählen. Den älteren Herren, der mit seiner studierenden Tochter in einer Einzimmerwohnung wohnt.

Oder die Prostituierten über ihre Probleme mit der Polizei. Zwischen nächtlichen Partys am Imbissstand und Hausboot. Und so holte sie Rosi auch bei seinem größten Erfolg, der Auszeichnung in Venedig mit ins Rampenlicht. Seine Protagonisten, oder die Figuren seines Films, wie er sie inzwischen nenne.

Teils sind es Figuren, die an den Neorealismus, an das italienische Nachkriegskino erinnern. Damals als fiktive Abbilder des Alltags, hier nun der Alltag entlang des GRA als Mikrokosmos.
"Es wird so oft von Krise gesprochen. Aber für mich ist die große Krise in Italien nicht eine wirtschaftliche - die wird irgendwann überwunden werden und kommt dann in zehn Jahren wieder - sondern es ist vor allem eine Identitätskrise: Das Land betreffend aber auch jeden Einzelnen. Deshalb war es für mich so wichtig für diesen Film Protagonisten mit einer starken Identität, mit einer großen Menschlichkeit zu finden, die ihre ganz persönlichen Geschichten erzählen. Kleine Einblicke, die sich aber abheben und aus dem alltäglichen Sumpf der uns umgibt herausragen."
Und in der Summe dieser einzelnen so unterschiedlichen Geschichten entsteht dann in Sacro GRA ein derart dichtes Gesamtbild, dass man sich in seiner konzentrierten Form manchmal nicht in einem Dokumentar-, sondern in einem Spielfilm wähnt. Gianfranco Rosi:

"Ich habe für mich nie so radikal unterschieden zwischen Dokumentation und Kino, zwischen Dokumentation und Fiktion. Die zentrale Frage für mich ist immer was ist wahrhaftig und was ist verfälscht. Und die stellt sich in der Kunst immer. Was für mich dann hier die besondere Herausforderung war, dass ich einen Film machen wollte ohne Anfang und ohne Ende, und auch ohne die Geschichten dieser Menschen wirklich zu erzählen, die einfach auftauchen und dann wieder verschwinden."

Gianfranco Rosi zeigt den Grande Raccordo Anulare als Ort, der seine Identität als solcher verloren hat. Ein Ort, der mit den Geschichten der Menschen die dort leben aber zur Heimat ganz unterschiedlicher und oft gegensätzlicher Realitäten geworden ist, die sonst vergessen am Stadtrand - mit diesem Film auf die Leinwand geholt werden.