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Kino
"Der letzte der Ungerechten" von Claude Lanzmann
Mit seiner neuneinhalb-stündigen Dokumentation "Shoah" über den Holocaust hat Claude Lanzmann Filmgeschichte geschrieben. Das Thema hat ihn Zeit seines Lebens nicht losgelassen. Diese Woche kommt sein neuer Film in die Kinos: "Der letzte der Ungerechten", darin geht es um den einzigen Überlebenden der sogenannten Ältesten des Judenrates von Theresienstadt, den aus Wien stammenden Benjamin Murmelstein.
5. Juli 2018, 15:19
Morgenjournal, 20.11.2013
Christian Fillitz
1975 hat Claude Lanzmann Benjamin Murmelstein in seinem römischen Exil eine Woche lang interviewt. Es sollte das erste einer langen Serie von Gesprächen für seinen Monumentalfilm "Shoah" werden. Doch dann entschied er sich anders. "Shoah", sagt Lanzmann, funktioniere ganz anders, es basiere nur auf Gesprächen, ohne Kommentar, es gäbe keine Zeitdokumente. Hätte er Murmelstein nach derselben Methode eingebaut, wäre der Film mindestens sechs Stunden länger geworden, und das sei unmöglich, sagt Lanzmann.
Erst nachdem er - übrigens in Wien im Filmmuseum - eine Vorführung der elf Stunden Interviews mit Murmelstein gesehen hatte, entschloss sich Lanzmann, einen, wie er sagt, künstlerischen Film daraus zu machen, in dem er selbst präsent sei. Und so begibt er sich auf die Spuren der Deportation von Juden nach Theresienstadt, wo die Nazis ein, wie sie sagten, Vorzeigeghetto schufen. Er folgt den Wegen ihres Martyriums vom Bahnhof von Bohusovice, drei Kilometer von Theresienstadt entfernt, zu den Hinrichtungsstätten. Er beschreibt das Leben der Gefangenen, ihre schwierigen Lebensbedingungen, ihre Not, ihre Ermordung. Illustriert auch mit beeindruckenden Zeichnungen, die geniale Künstler geschaffen hatten, um ihren Alltag zu zeigen, Werke, die - im Gegensatz zu vielen ihrer Schöpfer - das Naziregime überdauert haben.
Das ist der Kontext, in dem sich Benjamin Murmelstein bewegt hat. Er war der einzige Überlebende der sogenannten Ältesten der Judenräte, ab 1944 leitete er die Geschicke von Theresienstadt. Eine umstrittene Persönlichkeit, der u. a. seine vermeintliche Kollaboration mit den Nazis vorgeworfen wurde. Ganz im Gegenteil, meint Lanzmann, er sei ein Held, der mehrere Zehntausende Juden gerettet habe, wenn auch mit unkonventionellen Methoden. Insgesamt sei er zutiefst überzeugt, dass er ihn nicht angelogen habe, sagt Lanzmann, und die Wahrheit gesagt habe, mit viel Intelligenz, viel Kraft und viel Witz, "er konnte nämlich sehr witzig sein".
Lanzmanns "Der letzte der Ungerechten" zeigt viele wenig bekannte Aspekte der Thematik Judenräte. Und er räumt auch mit dem Mythos Schreibtischtäter Eichmann auf. Murmelstein, der ihn gut kannte, weil er oft, schon in Wien, mit ihm zu tun gehabt hatte, gibt dafür einige Beispiele. Etwa Eichmanns aktive Rolle bei den Novemberpogromen in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938, der sogenannten Kristallnacht. Gegen drei Uhr früh wurde da Murmelstein von seinem Hauswart geweckt.
Murmelstein starb in Armut 1989 in Rom. Der römische Oberrabbiner verweigerte ihm das Totengebet, das Kaddisch. Gäbe es eine Skala der Schuld, so hätte dieser Rabbiner mehr Schuld auf sich geladen als Murmelstein, so Lanzmann.