Eine Reise in die Zukunft
Wasser
Wasser ist der einzige Rohstoff, ohne den wir nicht existieren können, aber auch der einzige, der sich unserer kompletten Kontrolle entzieht. Dürrekatastrophen, Überschwemmungen, Verschmutzungen - wie kann es gelingen die fragile Balance des Wasserhaushalts trotz Klimawandels aufrechtzuerhalten?
8. April 2017, 21:58
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Ungeachtet aller großangelegten Versuche des Menschen, das Wasser zu beherrschen, lässt es sich nicht völlig kontrollieren. Insbesondere in unserem Zeitalter der Klima-Unsicherheit wird immer deutlicher, dass das Wasser die Gesellschaft umso stärker beherrscht, je mehr diese davon abhängt, es kontrollieren zu müssen.
Schwimmende Station
London. Victoria Station. Einer der meistbenützten U-Bahn-Stationen der britischen Hauptstadt. Für den reisenden Hydrologen Terje Tvedt ein Musterbeispiel für notwendige und gelungene Wasserkontrolle. Kaum einer der Passanten weiß, dass der unterirdische Teil des Bahnhofs tief unter Wasser steht und dieses nur durch ein ausgeklügeltes Pumpensystem davon abgehalten wird, in die Station einzudringen. Unfassbare 35 Liter Wasser pro Sekunde werden permanent abgepumpt.
Das war nicht immer notwendig. Denn der Grundwasserspiegel in diesem Teil von London ist erst in den 1960er Jahren angestiegen, als Brauereien und Papierwerke abwanderten und der Wasserverbrauch dadurch massiv sank. Es hängt also nicht nur von natürlichen Faktoren ab, wann, wo und in welchen Mengen Wasser zum Problem werden kann.
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Der Mensch kann es zeitweilig kontrollieren, es in Rohre zwingen und hinter Staudämme sperren, er kann es konsumieren, doch er kann es nicht gänzlich beherrschen.
"Entwässerungsanlage" Bangladesch
Für Tvedt gibt es kaum ein Land, dessen Schicksal mehr von der unmittelbaren Macht des Wassers abhängt, als Bangladesch. Rund 160 Millionen Menschen leben im dichtest besiedelten Flächenstaat der Welt mehr oder weniger auf einer großen Flussebene zusammengepfercht. Das Gebiet rund um das Delta der Flüsse Ganges, Padma und Brahmaputra gilt als "Entwässerungsanlage" Asiens. Ändert sich das Klima, dann schmelzen nicht nur die Gletscher im Himalaja, sondern steigt auch der Meeresspiegel. Bangladesch liegt mitten drin - in einer Falle, aus der es scheinbar kein Entrinnen gibt.
Zu einer Verschärfung der Lage trägt bei, dass kleine Nebenflüsse und Kanäle zugeschüttet werden, um Land für immer mehr Menschen zu gewinnen. Zu den regelmäßigen Überschwemmungen kommt noch die Abhängigkeit von Ländern, die stromaufwärts beliebig viel Wasser entnehmen. Der Autor beobachtet, am Flussufer stehend, die unzähligen Kinder, die in der Padma spielen, und formuliert zwei entscheidende ungelöste Fragen: "Wo sollen die Menschen leben? Und wer möchte in ein Land investieren, das nach Ansicht vieler zu Teilen bald schon verschwunden sein wird?
Wer sitzt an der Quelle?
Eine weitere Reise führt nach Lesotho. Schon seit Jahrzehnten liefert das kleine, bitterarme Gebirgsland Trinkwasser an die wasserarme, regionale Großmacht Südafrika. Als es 1998 zu Protesten gegen den Ausverkauf nationaler Ressourcen kam, entsandte das mächtige Nachbarland militärische Truppen an den Katse-Staudamm. 16 Wachleute wurden getötet. Eine Machtdemonstration, von der die Weltöffentlichkeit kaum Notiz nahm, die aber in Lesotho noch heute als traumatische Episode nacherzählt wird. Terje Tvedt sieht in diesem kurzen, aber symbolhaften "Wasserkrieg" eine Vorschau auf künftige Konflikte, wenn Trinkwasser endgültig zur internationalen Handelsware wird.
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Jene Staaten, die im Oberlauf der Flüsse liegen und somit das Wasser kontrollieren können, werden künftig eine ganz neue geopolitische Machtposition erhalten. Sind die Wasserfürsten hingegen stromabwärts angesiedelt, werden politisch schwache "Wasserturmländer" womöglich an ihrer Entwicklung gehindert und in Abhängigkeit gehalten, was neue Konflikte heraufbeschwören dürfte.
Mit allen Wassern gewaschen
3.000 Jahre alte Traktate aus China über den Charakter des Wassers neben trockenen Ingenieursstudien über die Kontrolle von Wasserläufen; Herodots wegweisende Berichte neben Szenarien von Klimaforschern über künftige Überschwemmungen und Verwüstungen - der norwegische Historiker Terje Tvedt ist in hydrologischen Fragen mit allen Wassern gewaschen und hat zusätzlich im Laufe seiner Lokalaugenscheine über 70 Länder bereist. Das Ergebnis seiner Recherchen und Betrachtungen ist ein sehr profunder und spannender Einblick in ein Fachgebiet, das uns mehr und mehr beschäftigen wird.
Tvedts ausgewählte Schauplätze von Las Vegas und dem Wasserlauf des Colorado bis zum Drei-Schluchten-Damm in China, von der Regenküste Skandinaviens bis zu den Wüsten in Oman, beeindrucken und lassen einen dennoch manchmal ein bisschen ausgetrocknet zurück. Zu schnell verläuft der Wechsel zum nächsten Kapitel, viel mehr Details hätte man sich vom letzten noch gewünscht. Insgesamt aber bleibt ein tiefer Eindruck zu einem brisanten Thema. Ein Buch, das völlig ohne Hysterie und Horrorszenarien auskommt, doch den Ernst der Lage nicht leugnet. Auch für Länder wie Österreich, - Stichwort: "Jahrhunderthochwasser" -, ergibt sich laut Terje Tvedt dringend Handlungsbedarf.
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Es müssen Bedingungen geschaffen werden, dass das Regenwasser länger in der Landschaft bleiben kann. Dazu gibt es verschiedene Wege: weniger Flächenversiegelungen, weniger intensive Landwirtschaft, die den Boden verdichtet, mehr Misch- statt Nadelwälder, die Renaturierung von Mooren. Das Wasser braucht in der Zukunft viel mehr unserer Aufmerksamkeit.
Service
Terje Tvedt, "Wasser. Eine Reise in die Zukunft", aus dem Norwegischen von Andreas Brunstermann, Ch. Links Verlag