Kämpfen für das Recht auf Bildung

Ich bin Malála

Am 9. Oktober 2012 wurde die damals 15-jährige pakistanische Schülerin Malala Yousafzai von einem Taliban-Kämpfer in die linke Stirnseite geschossen und schwer verletzt. Auch zwei ihrer Freundinnen wurden angeschossen. Diese Gewalttat machte international Schlagzeilen.

Die Kugeln konnten Malala nicht zum Schweigen bringen, wie sie am 12. Juli 2013 in ihrer Rede vor den Vereinten Nationen betonte. Es war Malalas 16. Geburtstag und nach großen chirurgischen Eingriffen in Pakistan und Großbritannien war das Mädchen, das sich von Kindheit an für das Recht auf Bildung für alle engagiert hatte, weitgehend genesen. Sie sei dieselbe Malala. Ihre Hoffnungen seien dieselben, ihre Träume seien dieselben, versicherte sie in ihrer Rede vor der UNO.

Woher nimmt das Mädchen seinen Mut? Wie konnte sie in einer traditionellen, von Männern beherrschten und schließlich von den Taliban eingenommenen Region im Nordwesten von Pakistan, unweit der Grenze zu Afghanistan, zu einer Aktivistin heran wachsen? Das erzählt Malala in ihrer Autobiografie, die sie mit Hilfe der renommierten britischen Journalistin Christina Lamb verfasst hat.

Malala Yousafzai mit Ban Ki-moon bei den Vereinten Nationen

Malala Yousafzai mit Ban Ki-moon bei den Vereinten Nationen

(c) EPA/JUSTIN LANE

Freude über ein Mädchen

Ungewöhnlich ist in Malala Yousafzais Leben von Anfang an vieles gewesen. Die Ehe ihrer Eltern war nicht arrangiert, sondern eine Liebesheirat. Als Malala 1997 als erstes Kind ihrer Eltern geboren wurde, war der Vater nicht im Geringsten enttäuscht.

Benannt wurde das Mädchen nach Malalai von Maiwand, der größten Heldin Afghanistans. Malalai, die Tochter eines Schafhirten, gehörte zu den Tausenden von Afghanen, die Ende des 19. Jahrhunderts gegen die britische Besatzung ihres Landes kämpften. Sie selbst starb zwar im Kugelhagel, doch vor ihrem Tod gelang es ihr, die Truppe derart anzufeuern, dass sie den Briten schließlich eine verheerende Niederlage zufügte.

Paschtunische Jeanne d'Arc

Doch so wie in Europa das Engagement der Jeanne d'Arc nicht unmittelbar die Stellung der Frau in der Gesellschaft verbesserte, so konnte auch die legendäre Malalai nicht die paschtunische Männerherrschaft mit ihrem strengen Ehrenkodex des Paschtunwali verändern.

Die Mehrheit der sunnitischen Paschtunen lebt in Afghanistan und im Nordwesten von Pakistan. Malala Yousafzai wurde in der Stadt Mingora im Swat-Tal am Fuße des Hindukusch geboren. Die geschichtsträchtige Region Swat galt einst als die Schweiz von Pakistan, und Malala schwärmt in ihrer Autobiografie von der Schönheit des Tals.

Väterliches Engagement für Bildung

Malala geht in ihrer Autobiografie auch ausführlich auf Geografie, Geschichte, Kultur und Politik des Swat-Tals ein, und ermöglicht so den Lesern eine gute Einordung ihres eigenen Lebens in die größere – auch internationale – Zeitgeschichte. Malala selbst wuchs in bescheidenen Verhältnissen mit ihren Eltern und den zwei jüngeren Brüdern auf. Der Vater war in einer Branche tätig, in der kein materieller Reichtum zu erwerben war: Er gründete und verwaltete zunächst eine, dann mehrere Schulen.

In seinem Engagement für Bildung für alle Kinder wurde Malala bald zu seiner Mitstreiterin. Als das Mädchen zur Welt kam, regierten im benachbarten Afghanistan die Taliban. Als sie eingeschult wurde, hatte der Krieg gegen den Terror zwar die Vorherrschaft der Taliban über Afghanistan gebrochen, doch in den pakistanischen Grenzprovinzen zu Afghanistan erstarkten die radikalen Islamisten.

"Einer muss doch den Mund aufmachen"

Die Taliban gingen im Swat ähnlich vor, wie sie es Jahre zuvor in Afghanistan getan hatten. Musik und Tanz wurden verboten, Fernseher, DVDs und CDs öffentlich verbrannt und die entsprechenden Läden geschlossen. Mädchen wurden aufgefordert, ihre Schulbildung abzubrechen, und Malalas Vater musste miterleben, wie immer mehr Schülerinnen dem Unterricht fernblieben, und wie Lehrer und Lehrerinnen sich weigerten, weiterhin ihren Beruf auszuüben.

Schulgebäude wurden in die Luft gesprengt, die Bekleidungsvorschriften für die gesamte Zivilbevölkerung strikt geregelt. Polizisten wurden getötet, Menschen öffentlich ausgepeitscht oder ermordet. Wer es sich leisten konnte, floh aus dem Tal, die ärmeren Leute blieben zurück. Malalas Familie blieb aus Überzeugung. "Einer muss doch den Mund aufmachen", zitiert Malala einen Spruch ihres Vaters.

Emigration nach England

Malalas Vater hatte aufgrund seines bildungspolitischen Engagements Kontakte in größere pakistanische Städte wie Peshawar und auch in die Hauptstadt Islamabad. Für Journalisten wurde er bald zu einer wichtigen Ansprechperson, wenn es um die Entwicklungen im Swat-Tal ging, und auch Malala wurde immer öfter interviewt. Mit Hilfe eines Journalisten, der Malala regelmäßig am Handy anrief, erschien unter einem Pseudonym einige Zeit lang sogar ein Internet-Tagebuch von Malala bei BBC.

Es war der Befehl der Armee, aus dem Swat wegzugehen, das nun durch eine Militäroffensive von den Taliban befreit werden sollte. Fakten und Zahlen sind in diesen Passagen ein wenig widersprüchlich dargestellt, man merkt dem Buch an, dass es in kurzer Zeit verfasst und rasch übersetzt worden ist. Der Bedeutung des Werks tut dies keinen Abbruch. Malala Yousafzai und Christina Lamb gelingt es auch, eines anschaulich darzulegen: Hier geht es um Machtpolitik und um ein Ringen fortschrittlicher Kräfte gegen Fanatiker. Denn in ihrem Einsatz für Bildung, für Kinder- und Frauenrechte beziehen sich Malala und ihr Vater stets auf den Koran.

"Mein Vater und meine Mutter legten mir nie nahe, mit der Schule aufzuhören. Nicht ein einziges Mal", schreibt Malala. Und zwar aus einem guten Grund: Der Koran enthielt ihrer Lesart nach nirgends eine solche Vorschrift.

Mit Preisen ausgezeichnet

Nach einigen Monaten konnten die Menschen wieder ins Swat zurückkehren. Friede schien eingekehrt, und Malala konnte im Swat und landesweit bei Veranstaltungen zum Thema Bildung sprechen. Mehrfach wurde sie auch mit Preisen ausgezeichnet.

Es gab Grund zur Sorge. Malalas Vater erhielt Drohungen, liberale Politiker wurden ermordet, die Entwicklung der Jahre 2010 bis 2012 zeigte, dass die Taliban weder im Swat noch anderswo in Pakistan besiegt waren.

Nach dem Anschlag am 9. Oktober 2012 mussten Malala und ihre Familie das tun, was sie eigentlich nie gewollt hatten: Swat und Pakistan vorerst einmal für unbestimmte Zeit verlassen. Sie leben nun in Birmingham in Großbritannien. Doch weder die intensive Erfahrung der Angst noch der Anschlag scheinen Malala von ihren Zielen abbringen zu können.

Service

Malala Yousafzai, "Ich bin Malála. Das Mädchen, das die Taliban erschießen wollten, weil es für das Recht auf Bildung kämpft", aus dem Englischen übersetzt von Elisabeth Liebl, Sabine Längsfeld und Margarete Längsfeld, Droemer-Verlag