Kämpfen für das Recht auf Bildung
Ich bin Malála
Am 9. Oktober 2012 wurde die damals 15-jährige pakistanische Schülerin Malala Yousafzai von einem Taliban-Kämpfer in die linke Stirnseite geschossen und schwer verletzt. Auch zwei ihrer Freundinnen wurden angeschossen. Diese Gewalttat machte international Schlagzeilen.
8. April 2017, 21:58
Die Kugeln konnten Malala nicht zum Schweigen bringen, wie sie am 12. Juli 2013 in ihrer Rede vor den Vereinten Nationen betonte. Es war Malalas 16. Geburtstag und nach großen chirurgischen Eingriffen in Pakistan und Großbritannien war das Mädchen, das sich von Kindheit an für das Recht auf Bildung für alle engagiert hatte, weitgehend genesen. Sie sei dieselbe Malala. Ihre Hoffnungen seien dieselben, ihre Träume seien dieselben, versicherte sie in ihrer Rede vor der UNO.
Woher nimmt das Mädchen seinen Mut? Wie konnte sie in einer traditionellen, von Männern beherrschten und schließlich von den Taliban eingenommenen Region im Nordwesten von Pakistan, unweit der Grenze zu Afghanistan, zu einer Aktivistin heran wachsen? Das erzählt Malala in ihrer Autobiografie, die sie mit Hilfe der renommierten britischen Journalistin Christina Lamb verfasst hat.
(c) EPA/JUSTIN LANE
Freude über ein Mädchen
Ungewöhnlich ist in Malala Yousafzais Leben von Anfang an vieles gewesen. Die Ehe ihrer Eltern war nicht arrangiert, sondern eine Liebesheirat. Als Malala 1997 als erstes Kind ihrer Eltern geboren wurde, war der Vater nicht im Geringsten enttäuscht.
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Er sagte, er hätte mir gleich nach meiner Geburt in die Augen geschaut, und schon sei er "verliebt" gewesen. Er bat seine Freunde sogar, getrocknete Früchte, Süßigkeiten und Münzen in meine Wiege zu werfen – was normalerweise nur für Buben gemacht wird.
Benannt wurde das Mädchen nach Malalai von Maiwand, der größten Heldin Afghanistans. Malalai, die Tochter eines Schafhirten, gehörte zu den Tausenden von Afghanen, die Ende des 19. Jahrhunderts gegen die britische Besatzung ihres Landes kämpften. Sie selbst starb zwar im Kugelhagel, doch vor ihrem Tod gelang es ihr, die Truppe derart anzufeuern, dass sie den Briten schließlich eine verheerende Niederlage zufügte.
Paschtunische Jeanne d'Arc
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Wir Paschtunen hatten mit Malalai unsere eigenen Jeanne d'Arc. Viele Mädchenschulen sind nach Malalai benannt.
Doch so wie in Europa das Engagement der Jeanne d'Arc nicht unmittelbar die Stellung der Frau in der Gesellschaft verbesserte, so konnte auch die legendäre Malalai nicht die paschtunische Männerherrschaft mit ihrem strengen Ehrenkodex des Paschtunwali verändern.
Die Mehrheit der sunnitischen Paschtunen lebt in Afghanistan und im Nordwesten von Pakistan. Malala Yousafzai wurde in der Stadt Mingora im Swat-Tal am Fuße des Hindukusch geboren. Die geschichtsträchtige Region Swat galt einst als die Schweiz von Pakistan, und Malala schwärmt in ihrer Autobiografie von der Schönheit des Tals.
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Das Swat-Tal ist ein Himmelreich aus Bergen, strömenden Wasserfällen und kristallklaren Seen. "Willkommen m Paradies", liest man auf dem Schild, wenn man das Tal betritt.
Väterliches Engagement für Bildung
Malala geht in ihrer Autobiografie auch ausführlich auf Geografie, Geschichte, Kultur und Politik des Swat-Tals ein, und ermöglicht so den Lesern eine gute Einordung ihres eigenen Lebens in die größere – auch internationale – Zeitgeschichte. Malala selbst wuchs in bescheidenen Verhältnissen mit ihren Eltern und den zwei jüngeren Brüdern auf. Der Vater war in einer Branche tätig, in der kein materieller Reichtum zu erwerben war: Er gründete und verwaltete zunächst eine, dann mehrere Schulen.
In seinem Engagement für Bildung für alle Kinder wurde Malala bald zu seiner Mitstreiterin. Als das Mädchen zur Welt kam, regierten im benachbarten Afghanistan die Taliban. Als sie eingeschult wurde, hatte der Krieg gegen den Terror zwar die Vorherrschaft der Taliban über Afghanistan gebrochen, doch in den pakistanischen Grenzprovinzen zu Afghanistan erstarkten die radikalen Islamisten.
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Ich war zehn, als die Taliban in unser Tal kamen. Ihr Anführer war ein Mann von 28 Jahren namens Maulana Fazlullah, der zuvor den Sessellift über den Swat-Fluss betrieben hatte. Bald schon sprachen alle von Fazlullahs Radiosender, der als "Mullah FM" bekannt wurde.
"Einer muss doch den Mund aufmachen"
Die Taliban gingen im Swat ähnlich vor, wie sie es Jahre zuvor in Afghanistan getan hatten. Musik und Tanz wurden verboten, Fernseher, DVDs und CDs öffentlich verbrannt und die entsprechenden Läden geschlossen. Mädchen wurden aufgefordert, ihre Schulbildung abzubrechen, und Malalas Vater musste miterleben, wie immer mehr Schülerinnen dem Unterricht fernblieben, und wie Lehrer und Lehrerinnen sich weigerten, weiterhin ihren Beruf auszuüben.
Schulgebäude wurden in die Luft gesprengt, die Bekleidungsvorschriften für die gesamte Zivilbevölkerung strikt geregelt. Polizisten wurden getötet, Menschen öffentlich ausgepeitscht oder ermordet. Wer es sich leisten konnte, floh aus dem Tal, die ärmeren Leute blieben zurück. Malalas Familie blieb aus Überzeugung. "Einer muss doch den Mund aufmachen", zitiert Malala einen Spruch ihres Vaters.
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Ich konnte nicht begreifen, was die Taliban bezweckten. "Sie missbrauchen unsere Religion", sagte ich in Interviews. "Wenn die Taliban möchten, dass alle Menschen Muslime sind, wieso gehen sie dann nicht mit gutem Vorbild voran und sind selbst keine schlechten Muslime?"
Emigration nach England
Malalas Vater hatte aufgrund seines bildungspolitischen Engagements Kontakte in größere pakistanische Städte wie Peshawar und auch in die Hauptstadt Islamabad. Für Journalisten wurde er bald zu einer wichtigen Ansprechperson, wenn es um die Entwicklungen im Swat-Tal ging, und auch Malala wurde immer öfter interviewt. Mit Hilfe eines Journalisten, der Malala regelmäßig am Handy anrief, erschien unter einem Pseudonym einige Zeit lang sogar ein Internet-Tagebuch von Malala bei BBC.
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Aus dem Tal wegzugehen war härter als alles, was ich je getan hatte. Als wir unser Haus verließen, war das für mich, als würde man mir das Herz aus dem Leib reißen. Am 5. Mai 2009 wurden wir zu IDPs, zu Internally Displaced People, zu Flüchtlingen im eigenen Land. IDP – das hörte sich an wie eine Krankheit.
Es war der Befehl der Armee, aus dem Swat wegzugehen, das nun durch eine Militäroffensive von den Taliban befreit werden sollte. Fakten und Zahlen sind in diesen Passagen ein wenig widersprüchlich dargestellt, man merkt dem Buch an, dass es in kurzer Zeit verfasst und rasch übersetzt worden ist. Der Bedeutung des Werks tut dies keinen Abbruch. Malala Yousafzai und Christina Lamb gelingt es auch, eines anschaulich darzulegen: Hier geht es um Machtpolitik und um ein Ringen fortschrittlicher Kräfte gegen Fanatiker. Denn in ihrem Einsatz für Bildung, für Kinder- und Frauenrechte beziehen sich Malala und ihr Vater stets auf den Koran.
"Mein Vater und meine Mutter legten mir nie nahe, mit der Schule aufzuhören. Nicht ein einziges Mal", schreibt Malala. Und zwar aus einem guten Grund: Der Koran enthielt ihrer Lesart nach nirgends eine solche Vorschrift.
Mit Preisen ausgezeichnet
Nach einigen Monaten konnten die Menschen wieder ins Swat zurückkehren. Friede schien eingekehrt, und Malala konnte im Swat und landesweit bei Veranstaltungen zum Thema Bildung sprechen. Mehrfach wurde sie auch mit Preisen ausgezeichnet.
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Meine Mutter fürchtete, ich würde dadurch noch bekannter und letztlich zur Zielscheibe werden. Sie selbst trat nie in der Öffentlichkeit auf. Sie ist eine sehr traditionsbewusste Frau, und das ist nun einmal die jahrhundertealte Kultur unseres Landes. Sie sagte nie, dass sie die Arbeit, die mein Vater und ich leisteten, nicht gutheißen würde, aber als ich die ersten Auszeichnungen erhielt, meinte sie: "Ich will keine Auszeichnungen, ich will meine Tochter."
Es gab Grund zur Sorge. Malalas Vater erhielt Drohungen, liberale Politiker wurden ermordet, die Entwicklung der Jahre 2010 bis 2012 zeigte, dass die Taliban weder im Swat noch anderswo in Pakistan besiegt waren.
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Ich erzählte meinen Eltern nichts davon, aber sobald ich einen Schritt aus dem Haus tat, überkam mich die Angst, ein bewaffneter Taliban könnte mich überfallen und mir Säure ins Gesicht schütten.
Nach dem Anschlag am 9. Oktober 2012 mussten Malala und ihre Familie das tun, was sie eigentlich nie gewollt hatten: Swat und Pakistan vorerst einmal für unbestimmte Zeit verlassen. Sie leben nun in Birmingham in Großbritannien. Doch weder die intensive Erfahrung der Angst noch der Anschlag scheinen Malala von ihren Zielen abbringen zu können.
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Ein Kind, ein Lehrer, ein Buch und ein Stift können die Welt verändern. Bildung geht vor, erklärte sie am Ende ihrer Rede vor der UNO.
Service
Malala Yousafzai, "Ich bin Malála. Das Mädchen, das die Taliban erschießen wollten, weil es für das Recht auf Bildung kämpft", aus dem Englischen übersetzt von Elisabeth Liebl, Sabine Längsfeld und Margarete Längsfeld, Droemer-Verlag