Bibelkommentar zu Matthäus 2, 13 - 15. 19 - 23
Der Name Josef bezeichnet in beiden Teilen der Bibel jeweils begnadete Träumer.
8. April 2017, 21:58
Im Ersten Testament ist es der so genannte „ägyptische“ Josef, der damit begabt ist, viel und intensiv zu träumen und diese Träume, aber auch die Traumbilder anderer zu dechiffrieren und wichtige Informationen für die Realität daraus zu gewinnen.
Im Evangelium, das an diesem Sonntag in den römisch-katholischen Gottesdiensten gehört wird, begegnet der neutestamentliche Träumer gleichen Namens: Josef, der Zimmermann und nach christlicher Tradition Jesu Nährvater. Als gutmütigen älteren Herrn mit Bart und Glatze – so kennt man ihn aus Weihnachtskrippen. Auf seinen Stab gestützt steht er neben der jungen Mutter Maria, strahlt eine geradezu großväterliche Güte aus und wirkt dabei immer auch etwas verloren und – eben verträumt. Aber obwohl ein Träumer, das Matthäus-Evangelium zeichnet eigentlich ein ganz anderes Bild von ihm: Seine Träume reißen ihn immer jäh aus dem Schlaf: „Steh auf!“ – Und da ist er dann gar nicht mehr verträumt, sondern einer, der entschlossen seine Verantwortung wahrnimmt und aufbricht. – Josefs Träume sind in Wahrheit klares Erkennen der Realität. Sie bringen Unruhe ins Leben der hl. Familie, denn diese ist von Anfang an gefährdet: Man trachtet dem Kind nach dem Leben. Politische Konstellationen, die dauernde Furcht der Herrschenden vor dem Verlust ihrer Macht sind die Ursache. Flucht, unstetes Unterwegs-sein wird zum Schicksal des Kindes Jesus. Der richtige Platz ist immer woanders. Im Evangelium ist gleich dreimal von Aufbrüchen und Umzügen der hl. Familie die Rede: Bethlehem – Ägypten; Ägypten – Judäa; Judäa – Nazareth in Galiläa. Dort ist vorderhand einmal Ruhe – bis der Sohn selbst zum unstet Umherziehenden wird.
Unruhe ist offenbar ein sicherer Hinweis, es mit Gott zu tun zu haben. Denn Unruhe und Neuaufbruch sind in den biblischen Erzählungen überall präsent, wo Menschen von Gott gerufen werden: Abraham etwa, der Urvater aller von Gott Gerufenen, muss seine Heimat verlassen und in ein Land gehen, das Gott ihm erst nach dem Aufbruch zeigen wird. Dann die Propheten: Sie haben Gottes Botschaft gelegen oder ungelegen zu sagen und sind deshalb unentwegt auf der Flucht – entweder vor Gottes Wort oder vor denen, denen dieses Wort nicht passt. Dann die Apostel, Fischer am See von Gennesaret: Sie lassen alles liegen und stehen und folgen auf einen Ruf hin Jesus nach. Schließlich Paulus: Seine Christusbegegnung vor Damaskus macht ihn zum Weltreisenden in Sachen Evangelium. – Der Ruf Gottes reißt Menschen offenbar aus ihrem vertrauten Leben hinaus auf ungewisse Wege. – Demgegenüber würde ich die Strukturen des Unglaubens so beschreiben: Keine Bereitschaft zu Bewegung und Aufbruch; konservatives Beharren auf liebgewordenen Positionen und in vermeintlichen Sicherheiten; Verweigerung notwendiger Lebensänderung und neuer Anfänge.
So eine Botschaft scheint so gar nicht in die Weihnachtszeit zu passen. Immer noch wird diese assoziiert mit romantischen Familienidyllen: vor dem Christbaum, um den festlich gedeckten Tisch, beim gemeinsamen Kirchgang oder in trauter Einigkeit über die Abfolge des Fernsehprogramms. Vielleicht aber will das Unruhe-Evangelium am weihnachtlichen Fest der hl. Familie daran erinnern, dass gerade auch Familien unentwegt dem Ruf zu Neuaufbrüchen ausgesetzt sind, und dass nicht jene Familie als ideal gelten kann, in der alles stets glatt, ruhig und in wohlgeordneten Bahnen verläuft, sondern jene Familie, die bereit ist, sich neuen Herausforderungen ehrlich und konsequent zu stellen. Das ist noch leicht einsichtig, wo etwa ein neues Kind in eine Familie kommt. Aber das ist schon viel schwerer zu akzeptieren, wenn Kinder dann aus dem Haus gehen und dabei ihre eigenen Wege suchen; wenn neue Lebensphasen oder berufliche Umbrüche auch die Beziehung zwischen Eheleuten verändern; wenn schließlich auch Krankheit und Alter gemeinsam bewältigt werden wollen. – In solchen Situationen trifft die Herausforderung zum Neuaufbruch das eigene und damit immer auch das familiäre Leben. Und glücklich die Familien, die dann bereit sind, gemeinsam aufzubrechen und darin einen Anruf Gottes zu erkennen: "Steh auf, nimm deine Familie und geh!"