Studiobesuch bei "Tiny Telephone"

San Francisco und die Musik, das ist fast eine unendliche Geschichte: Musik war seit jeher eine treibender Kraft der Stadt.

Die Beat-Generation und später die Hippie-Bewegung machten San Francisco zum Zentrum der US-amerikanischen Alternativkultur und spätestens in den 1960er Jahren wurde San Francisco zum gelobten Land einer jungen Generation, die auf der Suche nach einem neuen Lebensentwurf der Enge der amerikanischen Suburbia entfliehen wollten. In den Konzerthallen und Clubs der Stadt gab sich das Who is Who der amerikanischen Musikgeschichte ein Stelldichein. So etwa im legendären Musikclub "The Fillmore" in San Francisco.

Gästebuch

(c) Augustin, ORF

Kulturjournal, 03.01.2014

Was von den Hippies übrig blieb

Heute leben junge Kreative vorwiegend im "Mission District", einem Bezirk San Franciscos, der von mexikanischen Zuwanderern und Künstlern gleichermaßen geschätzt wird. Dort findet man "Tiny Telephone", ein analoges Tonstudio, das John Vanderslice betreibt.

John Vanderslice ist einer der wichtigsten amerikanischen Singer/Songwriter und Musikproduzent. Er lässt den Spirit der "alten Tage" in seiner Musik wieder aufleben. In seinen Liedern kritisiert und protestiert er gegen die amerikanischen Regierungen, Wirtschaftbosse und politische Missstände. Schnelle Charterfolge sind nicht sein Ziel, dafür ist er eine fixe Größe in der alternativen amerikanischen Musikkultur. Außerdem produziert Vanderslice Platten, unter anderem für eine Band, die es in den Olymp des amerikanischen "Alternative Pop" geschafft hat: Nada Surf.

John Vanderslice

John Vanderslice

(c) Augustin, ORF

Ein moderner Rebell

Ein grauer Lagerhallenkomplex am Ende einer Straße im Nirgendwo. Dass sich hier eines der berühmtesten Studios Kaliforniens befindet, möchte man nicht vermuten. Doch hinter der schmucklosen Fassade verbergen sich geschmackvoll eingerichtete Räumlichkeiten. Puristisches skandinavisches Design trifft auf 50er-Jahre-Klassiker.Die Wände sind mit Holz vertäfelt, der Boden mit Teppich ausgelegt. Allerhand Instrumente füllen den Raum, in dessen Mitte unübersehbar ein riesiger Flügel thront.

"Ganz besonders schätze ich unser Steinway-Piano von 1904. Das ist eine Dauerleihgabe von unserem Klavierrestaurator. Er hatte keinen Platz dafür. Aber irgendwann muss ich es wohl kaufen, oder er nimmt es uns wieder weg. Ich zögere den Tag einfach noch ein wenig hinaus!"

Teure Klaviere statt digitaler Aufnahmegeräte, alte Röhrenverstärker und antike Mikrophone stehen bei Tiny Telephone bereit, Geräte, die andere im Zuge der Digitalisierungswelle ausrangiert haben, etwa das Herz des Studios, das unübersehbare Mischpult im Regieraum:

"Ursprünglich wurde das Mischpult 1976 extra für die BBC gebaut - ein Neve 5316. Wir haben die Konsole aus einem Tonstudio in Brooklyn, das Pleite gegangen ist. Unser Equipment bekommen wir von überall her! Vieles finden wir auf eBay oder von befreundeten Musikern. Wir haben schon Angst vor der Zukunft, denn diese Maschinen werden nicht mehr hergestellt. Das hier ist eigentlich ein Museum!"

Analog ist besser

Seit frühester Kindheit ist John Vanderslice großer Musikliebhaber. Er hört britische Bands wie The Who und die Beatles, Musiker wie Bob Dylan, Lou Reed und die Rolling Stones. Und die Bilder der alten Tonstudios auf der Rückseite der Platten faszinieren ihn besonders. Olympic, Eel Pie, Trident, Abbey Road: dieselben Studios waren immer wieder auf seinen alten Lieblingsplatten abgebildet. "Da habe ich erkannt, dass das Studio genauso wichtig ist, wie die Musiker!"

1997 hat John Vanderslice sein Tiny Telephone-Studio geründet. Anfangs nur, um seine eigene Musik aufzunehmen, melancholische Indiesongs mit politischer Botschaft, aber auch persönliche Befindlichkeiten, etwa das Scheitern der Liebe, haben Platz im Oeuvre des Künstlers. Und wenn er nicht gerade damit beschäftigt ist, seine eigenen Platten aufzunehmen, arbeitet er für viele Bands aus der San Francisco Bay Area, etwa für Death Cab for Cutie und Two Gallants. Bloß, wieso der Aufwand? Ist analog wirklich besser?

"Es ist nicht so, dass Bandmaschinen unbedingt besser klingen. Aber sie klingen immer noch besser als digitale Aufnahmegeräte und entsprechen dem Sound, den wir haben wollen. HD und Pro Tools: Das ist wie Essen, das man in der Mikrowelle erwärmt: Es ist einfach nicht gut!"

Neues Album per Kickstarter

Trotz des anachronistischen Zugangs: John Vanderslice verschießt sich modernen Medien nicht völlig. 2013 hat er einem seiner musikalischen Helden eine Hommage gewidmet: Er hat "Diamond Dogs" von David Bowie neu interpretiert - sein Lieblingsalbum. Um die Aufnahme zu finanzieren, hat er eine Kickstarter-Kampagne gestartet. Auf der Onlineplattform können Künstler Projekte präsentieren und bekommen dann von Interessenten Geld gespendet. 18.000 US Dollar war das Ziel von John Vanderslice. Das Vierfache, fast 80.000 US Dollar, haben ihm seine Fans gespendet - modernes Mäzenatentum, das es ermöglicht, große Ideen zu realisieren.

Für John Vanderslice ist ein Traum wahrgeworden: sich zu 100 Prozent seiner Kunst widmen zu können. So ganz kann er das immer noch nicht glauben, wie er im Interview lachend meint:

"Ich muss mich immer wieder daran erinnern, dass das mein Traum ist! Denn oft fühlt es sich wie ein Albtraum an, weil es so hart ist. Du hast komplizierte Kunden, Rechnungen und Equipment, das du zahlen musst, und der Profit ist klein. Eines werde ich bestimmt nie sagen können: Dass ich ein leichtes Leben gehabt habe oder dass ich mehr arbeiten hätte sollen! Ich glaube, ich habe alles erreicht, was man sich als Musiker erträumen kann!"