Die Physik an den Grenzen des Erforschbaren
Gottes unsichtbare Würfel
Albert Einstein vertrat folgende Meinung: "Gott würfelt nicht." Auf diesen Satz antwortete Jahre später der Physiker Stephen Hawking mit den Worten: "Gott würfelt doch, nur wirft er die Würfel mitunter dorthin, wo man sie nicht sehen kann."
8. April 2017, 21:58
Beide Aussagen dienen Helmut Satz als Motto für sein Buch "Gottes unsichtbare Würfel. Die Physik an den Grenzen des Erforschbaren". Satz war dreißig Jahre Professor für Theoretische Physik an der Universität Bielefeld und hat einige Jahre am CERN, der weltgrößten Forschungseinrichtung für Teilchenphysik, verbracht. Was hat es also nun auf sich mit dem göttlichen Herumwürfeln im Makro- wie im Mikrokosmos? Helmut Satz liefert eine Menge Antworten.
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Wo immer der Mensch hingeschaut hat, auf Erden oder im All, im Großen oder im Kleinen, immer tauchten Horizonte auf, Grenzen, und dahinter weitere und wieder weitere. Wir haben immer nach letzten Grenzen gesucht, und diese jahrtausendealte Suche hat sicher ihren Teil dazu beigetragen, die Menschheit so zu formen, wie sie heute ist.
Richtige Antworten werfen weitere Fragen auf
Äußerst interessant an der Darstellung von Helmut Satz ist, dass er erst einmal eine geschichtliche Einleitung liefert. Ob es der portugiesische Prinz "Heinrich, der Seefahrer", der seine Schiffe Anfang des 15. Jahrhunderts an die Grenzen der bekannten Welt führte, und so bewies, dass die Erde keine Scheibe sei, ob es griechische und arabische Astronomen waren, die weit vor Christi Geburt errechneten, dass die Erde eine Kugelform haben müsse, ob Johannes Kepler aufgrund der Forschungen von Galileo Galilei und Tycho Brahe die Gesetze der Planetenbewegungen bestimmte, immer gab es ein wissenschaftliches Fortschreiten - und die richtigen physikalischen Antworten brachten weitere Fragen mit sich.
Auch die Frage nach der Lichtgeschwindigkeit beschäftigte die Denker seit Aristoteles. Aber ehrlich gesagt: Wissen wir alle, weswegen der Himmel nachts dunkel ist? Wäre das Universum in jeder Richtung unendlich und wären die Sterne mit steter Helligkeit in gleicher Dichte verteilt, dann müsste es stets hell sein. Doch Sterne sind endlich, sie vergehen, selbst wenn ihr Licht uns noch aus undenklich weiter Entfernung erreicht. Deswegen ist es nachts, wenn wir von der Sonne abgewendet sind, relativ dunkel. Der Kosmos besitzt nicht genug Materie, um den Himmel stets zu erhellen. Dieses Ergebnis hat mit Einsteins Berechnung der Lichtgeschwindigkeit zu tun, aber auch mit einer anderen Theorie: der vom "Urknall".
Im Mikro- wie im Makrokosmos
Wenn Gott eines Tages - das heißt, bevor Raum und Zeit existierten! - den "Schalter umgelegt hat" und so aus dichtester Ur-Materie das Universum entstand, dann ist es auch endlich. Interessant dabei: Die Urknalltheorie stammt von dem belgischen Physiker Georges Lemaître, der allerdings auch katholischer Priester war. Und noch eigenartiger ist, dass der amerikanische Autor Edgar Allen Poe bereits 1848 in seinem Essay "Heureka" ähnliche Gedanken niedergeschrieben hat. Nach der Urknalltheorie würfelt Gott nicht wirklich. Doch es gibt im All auch beinahe unvorstellbare Dinge. Etwa die "schwarzen Löcher", deren Gravitation so stark ist, dass alle Materie verschluckt wird und nie wieder zum Vorschein kommt. Würfelt Gott also doch?
Dasselbe Bild, dieselbe Frage ergibt sich, wenn man mit Helmut Satz den Mikrokosmos betritt. Die griechischen Naturphilosophen wie Demokrit und Lukrez waren der Ansicht, dass die Materie aus kleinsten, unteilbaren Bestandteilen bestehen müsste. Man nannte sie "atomos". Im 18. Jahrhundert wurde allerdings die Forschung weitergetrieben und gefragt, woraus nun wieder diese Atome bestünden. Rund zweihundert Jahre später entdeckte man die "Elektronen" und als dann Max Planck die "Quanten" fand, war es um die Gesetzlichkeit im Mikrokosmos geschehen.
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Es war jetzt klar, dass es im Mikrokosmos keine kontinuierlichen Änderungen gibt, nur diskrete Sprünge. (...) Unsere makrokosmische Welt bleibt, wie man heute sagen würde, in guter Näherung analog. Aber auf atomarer Ebene ist das jetzt nicht mehr richtig. Alles passiert in diskreten Einheiten, die Natur wird digital.
Gott ist ein Zocker!
Die Suche nach den kleinsten, subatomaren Teilchen ging weiter: Man fand Neutronen, Protonen, Mesonen, Hadronen, Leptonen - eine Ende war und ist nicht abzusehen. Der österreichische Physiker Wolfgang Pauli, der intensiv im Bereich der Quantenmenchanik tätig gewesen ist, soll ob dieser Entwicklung resignierend ausgerufen haben: "Wenn ich das geahnt hätte, wäre ich Botaniker geworden."
Gott würfelt also doch - und blickt man in die Physik des Mikrokosmischen hinein, müsste man fast sagen: Er ist ein richtiger Zocker! Doch halt! Die Entwicklung ist sicher noch nicht an ihrem Endpunkt angelangt. Und so lange Menschen in Richtung Makro- und Mikrokosmos forschen, wird die Frage nicht entschieden sein, ob hier mächtig gewürfelt wird oder nicht.
Das Buch "Gottes unsichtbare Würfel" bietet einen guten Überblick über Geschichte, Entwicklung und Status quo der Physik. Dem Autor Helmut Satz gelingt es, plastisch, mit guten Beispielen und laienfreundlich die diversen Problemstellungen zu beschreiben. Doch viele Erkenntnisse sind starker Tobak. Man sollte sich also darauf einstellen, bestimmte Passagen im Buch zwei-, dreimal lesen zu müssen. Denn eines sollte klar sein: Auch würfeln will gelernt sein!
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Helmut Satz, "Gottes unsichtbare Würfel. Die Physik an den Grenzen des Erforschbaren", C. H. Beck