1 Mann, 5 Kontinente und jede Menge Jobs
Journey Man
Der junge deutsche Designer, Fotograf und Innenarchitekt Fabian Sixtus Körner stand vor ein paar Jahren vor einem Dilemma. Einerseits wollte er seine Karriere voranbringen, andererseits packte ihn wieder einmal das Fernweh. Also verband er kurzerhand beide Neigungen und ging als Wanderarbeitern auf Weltreise.
8. April 2017, 21:58
"Lass uns die Pfade verlassen, die eine Armada von Reisenden ausgetrampelt hat." Auf der Suche nach der idealen Verbindung zwischen Traumjob und Reiselust wurde Herr Körner bei einer mittelalterlichen Tradition fündig: der Walz der Handwerksgesellen. Zwar ohne Schlaghose, Schlapphut und Wanderstock, aber doch mit dem hehren Ziel vor Augen als weiser, weltoffener und an verschiedensten Erfahrungen reicher Mensch zurückzukehren, machte er sich auf den Weg. Zuvor wurden noch ein paar Regeln festgelegt.
Die wichtigsten: mindestens ein, maximal zwei Jahre geht es "querweltein" auf einer Route, die vorher nicht festgelegt wird; mindestens ein Job auf allen bevölkerten Kontinenten dieser Erde muss angenommen werden und - frei nach dem Motto "Erfahrungsreichtum kommt vor Geldsegen" - wird auf der Walz lediglich für Kost und Logis gearbeitet. Mit 255 Euro am Konto geht es im Jänner 2010 los Richtung Shanghai. Der erste Job auf einer Großbaustelle ist schnell gefunden. Die ersten ernüchternden Erfahrungen werden gemacht. Sein Chef, ein Architekt, bringt ihm die chinesische Mentalität näher:
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Werden in Deutschland Ausreden gesucht, warum eine Arbeit nicht erledigt wurde, so beteuert man hier, dass die Arbeit erledigt wurde - auch wenn das augenscheinlich nicht der Fall ist. Den Arbeitern geht es darum, ihr Gesicht zu wahren. Wenn man das weiß, erspart man sich eine Menge Konflikte.
Spezielle Blickwinkel
Hoffnungslos überfüllte U-Bahnen; pflichtbewusst absolvierte Neujahrsfeiern; Jogger, die wie selbstverständlich rückwärts laufen und das "heilige" Ritual des Samstag-Karaoke - nach drei Monaten Shanghai geht es weiter zum nächsten Job als internationaler Botschafter auf der "Kuala Lumpur Design Week". Danach folgen die Planung eines vertikalen Gartens in Bangalore, ein Designauftrag für einen Yachtproduzenten in Alexandria, Fotojobs in Addis Abeba und San Francisco, die Unterstützung eines Musiklabels im australischen Brisbane, Arbeit als Videojournalist in Havanna, eine Dokumentation über eine Hahnenkampfarena in Santo Domingo, die Mitarbeit in einer Galerie in Medellin und vieles andere mehr.
Die verschiedenen Betätigungsfelder erlauben es Körner, das jeweilige Land aus einem ganz speziellen Blickwinkel zu sehen, anders jedenfalls, als er das als durchschnittlicher Backpacker auf den üblichen "Lonely Planet"-Trampelpfaden getan hätte. Als leidenschaftlicher Fotograf gelingt es ihm, hinter die übliche Postkartenidylle zu blicken. In Kuba etwa entdeckt er schnell den erschreckenden Abgrund hinter den im Westen verbreiteten Kitschbildern, die sentimentale Touristen und unerschütterliche Che-Guevara-Nostalgiker nach wie vor in Scharen anlocken. Der Karibikstaat stellt sich vor allem als Paradies für Sextouristen heraus.
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Sozialismus und christlicher Glaube. Dazu die überbordende Sexualität. Es ist, als gebe es auf Kuba gleich drei Pole, die sich gegenseitig abstoßen. Mittlerweile werden den Freiern Kinder von gerade mal elf oder zwölf Jahren angeboten. Kinderprostitution ist das neue große Geschäft, und die Zuhälter verstecken sich nicht selten hinter der Maske eines Schullehrers.
Sicht auf die Kehrseiten
Natürlich lebt der Reisebericht von den zahlreichen "abenteuerlichen" Begegnungen und Begebenheiten, die sich zwangsläufig auf einem Solotrip ohne Geld ergeben. Gerade aber Körners unverstellter Blick auf die negativen Aspekte der jeweiligen Stationen macht seine unmittelbar erlebte Weltsicht so speziell.
Im nordindischen Bergdorf McLeod Ganj sorgt ein stetiger Zustrom von Neohippies für gute Geschäfte der dort lebenden Exil-Tibeter, teilweise zum Leidwesen der Einheimischen. Srinagar, weiter nördlich im Kaschmir gelegen mit seiner traumhaft schönen Seelandschaft und seinem überwältigenden Himalaya-Blick, hätte das Potenzial eines starken Touristenmagneten. Doch kaum jemand wagt sich in die umkämpfte Region. Selbst in einer Stadt wie San Francisco schreckt der reisende Autor nicht vor den Kehrseiten zurück.
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Beim Blick in die Seitengassen, wo sich die auf der Strecke Gebliebenen Schlösser aus aufgeweichten Kartons bauen, offenbart sich die Schwachstelle des amerikanischen Traums. Es gibt kein Netz, das diese Menschen auffängt, kein soziales System, das Mittellosen ein Leben innerhalb der Gesellschaft ermöglichen würde.
Außerhalb der Norm
Im Schnelldurchlauf seiner über zwei Jahre dauernden Weltreise wirkt es, als ob Körner problemlos von einer Kultur zur nächsten wechselt. Nur selten gibt es tatsächliche Anpassungsprobleme. Schön nachzuvollziehen am Beispiel Kaffee: Anhand dieser alltäglichen Gewohnheit beschreibt er vom Automaten mit guineischen Bohnen in Kuala Lumpur über die äthiopische Röstzeremonie bis zum australischen Granulat die lokaltypischen Unterschiede.
"Journey Man" erfreut den Leser nicht nur mit diesen lebensnahen und meist sehr kurzweiligen Betrachtungen über fast 300 Seiten hinweg, sondern auch und vor allem mit Körners sympathisch unkomplizierten Art, die Welt zu sehen. Über QR-Codes im Buch kann man übrigens zusätzlich Fotos und Videos der Reise ansehen. Der Autor freut sich am Ende seines Buches über die vielen Erfahrungen, die er gemacht hat, am meisten aber darüber, was er über Arbeit gelernt hat. Ursprünglich wollte er ja nur seine Abenteuerlust ausleben, um dann zurück in seiner Heimat einer geregelten Tätigkeit nachzugehen, doch nach Tausenden Kilometern in Flugzeugen, Zügen, Bussen, Booten und Rikschas hat sich vor allem seine Einstellung zu dieser Art von vermeintlich "gesichertem" System geändert.
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Wir nennen sie die gesellschaftliche Norm. Es gibt sie in jedem Land, jeder Kultur und Religion. Aber wir alle haben unterschiedliche Bedürfnisse, Vorlieben, Gewohnheiten und Neigungen - warum sollten wir also denselben Regeln folgen? Tatsache ist, dass mir ein geregeltes Leben mehr Probleme zu bereiten scheint als das unstete, ungewisse. Mittlerweile muss ich bekennen, dass mein Reiserucksack mein Schicksal ist.
Service
Fabius Sixtus Körner, "Journey Man. 1 Mann, 5 Kontinente und jede Menge Jobs", Ullstein Extra
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