Die "Café Sonntag"-Glosse von Franz Schuh

Narrenfreiheit

Das Wort "Freiheit" hat Pathos – im zusammengesetzten Hauptwort "Freiheitskampf" kommt das notwendig Fordernde, das unvermeidlich Kämpferische der Freiheit zum Ausdruck.

Die Freiheit hat es nicht zuletzt mit Selbstbestimmung zu tun – und so leicht kann man auf dieser Welt nicht selbst bestimmen, was zu tun ist. Dafür muss man kämpfen, oft gegen die bekannten Schranken, aber manchmal auch gegen unbekannte Gegner, gegen anonyme Gewalten, oder gegen komplexe Täuschungen, durch die einem glauben gemacht wird, dass man aus freien Stücken und begeistert tut, was einem die Gesellschaft vorschreibt. Das alles zieht ein Pathos nach sich, dem man gerne gesanglich Ausdruck verleiht – zum Beispiel, trocken gesagt, singt man dann Zeilen wie: "Reinen Tisch macht mit dem Bedränger! / Heer der Sklaven, wache auf!/ Ein Nichts zu sein, tragt es nicht länger / alles zu werden, strömt zuhauf."

Und da denke man sich ein anderes zusammengesetztes Hauptwort – das Wort "Narrenfreiheit". So ernst es die Freiheit meint, so sehr müssen Narren per se den Ernst und das Pathos unterminieren, ruinieren, verspotten. Ein pathetischer Narr ist eigentlich kein Narr, sondern ein unfreiwillig komischer Trottel (oder ein schlechter Schauspieler). - Gut, da gehe ich eben davon aus, dass einer, der die Narrenfreiheit in Anspruch nimmt, etwas von dem versteht, was er kundtut. Narrenfreiheit genießt derjenige, der die Wahrheit (und nichts als die Wahrheit) sagen darf, ohne dass er dafür einstehen muss. Ein Narr ist also in aller Unfreiheit frei – und so ein Widerspruch verletzt das Freiheitspathos: Bloß die Wahrheit zu sagen, weil er nicht ernst genommen wird, das tut kein freier Mensch.

Moralisten haben daher schnell was gegen Schauspieler, denn die gehen, nachdem sie uns die Wahrheit gesagt haben, von der Bühne ab. Schauspieler leben damit und davon, dass ihre Wahrheiten höchstens indirekt wirken, aber moralisch mehr oder weniger folgenlos bleiben. Schauspieler müssen in Wirklichkeit auch nicht dafür einstehen, was sie als Figuren sagen.

Das ist aber zugleich ein zivilisatorischer Fortschritt: Die Erzeugung eines Scheins, der nicht mit dem Absolutismus der Wirklichkeit zurückschlägt, räumt einen Freiraum ein, in dem man Zuschauer bleibt und in dem man sich dennoch spiegeln kann, und zwar als der Mensch, der man ist, und auch als der, der man sein sollte. Wenigstens eine Ebene oder eine Bühne dafür zu haben, auf der man ungestraft versuchen darf, die Wahrheit zu sagen, das ist schon ein Fortschritt, auch wenn dieser Fortschritt der Freiheit - durch die anödenden Routinen der Unterhaltungsindustrie und ihrer hoch bezahlten Narren - längst nicht mehr so viel zählt, wie er wert ist.