Juristen fordern Reform der Verfahrenshilfe

Für Widerspruch in der juristischen Fachwelt sorgen jüngste Aussagen von Justizminister Wolfgang Brandstetter: Der von der ÖVP in die Regierung geholte parteilose Strafrechtsprofessor meint, niemand in Österreich müsse aus Geldmangel auf eine angemessene Strafverteidigung verzichten. Andere sehen es völlig anders: ein Strafrechtsprofessor, ein Opfervertreter, ein Rechtsanwaltskammerpräsident und der Sprecher der StrafverteidigerInnenvereinigung.

Mittagsjournal, 1.2.2014

Gratis-Anwalt nur für sehr Arme

"Wenn Sie sich keinen Anwalt leisten können, bekommen Sie einen gestellt." So hört man es im Fernsehkrimi immer wieder und so ähnlich funktioniert es auch in Österreich – theoretisch, denn in der Praxis nur für die Ärmsten der Armen. Das meint jedenfalls Udo Jesionek, Strafrechtsprofessor und Experte des Weißen Rings, einer Opferhilfe-Organisation. Er macht darauf aufmerksam, "dass die Grenzen der Judikatur – meines Wissens nach – derzeit zwischen 1.000 und 1.200 Euro Einkommen liegen. Jeder, der ein bisschen mehr verdient, kommt nicht mehr in den Genuss der Verfahrenshilfe. Sie betrifft also praktisch nur einen ganz kleinen Teil der Personen, die Prozess führen."

Justizminister Wolfgang Brandstetter sagte jedoch diese Woche in der Zeit im Bild 2: "Nach all meinen Erfahrungen ist es nicht so, dass sich jemand nicht ausreichend verteidigen könnte aus rein finanziellen Gründen. Das glaube ich nicht."

Einkommensgrenzen anheben

Gesprächsthema ist das alles auch beim Strafverteidiger-Tag an diesem Wochenende in Salzburg. Richard Soyer, Sprecher der Vereinigung Österreichischer StrafverteidigerInnen: "Wir Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger sehen das anders. Wir haben keine so positive Einschätzung der Realität, ganz im Gegenteil: Wir meinen, dass es ordentlich Nachbesserungsbedarf gibt."

Soyer sagt, nicht nur müsse man die Einkommensgrenzen hinaufsetzen, bis zu denen man Verfahrenshilfe, also kostenfrei einen Strafverteidiger, bekommen kann, sondern – so der Sprecher der Vereinigung Österreichischer StrafverteidigerInnen – es sei auch wichtig, dass man diesen Anwalt früher bekommt, nämlich schon zur ersten Einvernahme.

"Zweiklassenjustiz"

Ähnlich sieht es der Linzer Strafrechtsprofessor Alois Birklbauer: "Weil bei der Erstvernehmung letztlich die Weichen für die weiteren Ermittlungen gestellt werden, und die Beschuldigten, die sich im Rechtssystem nicht besonders gut auskennen, hier einfach nicht wissen, wie wichtig es ist, ein Protokoll genau zu lesen, entsprechende Anträge zu stellen, …"

Birklbauers Fazit - im Gegensatz offenbar zu dem des Ministers: "Was den Zugang zum Recht betrifft, kann man das Wort der Zweiklassenjustiz – aus meiner Sicht – klar unterstreichen."

Unterstützt nicht die Mittelschicht

Verfahrenshilfe ist übrigens nicht nur im Straf-, sondern auch im Zivilprozess ein Thema. Rechtsanwälte-Präsident Rupert Wolff: "Die Verfahrenshilfe unterstützt die ärmste Bevölkerungsschicht in Österreich, aber nicht die Mittelschicht." Leute, die etwa eine Immobilie von ihren Eltern geerbt haben, sind nicht mehr berechtigt, an der Verfahrenshilfe teilzunehmen, erklärt Wolff, und müssen sich die hohen Gerichtsgebühren, einschließlich der hohen Kopiekosten selbst zahlen. "Ich glaube, der Herr Bundesminister will die Justiz – was ihr auch gebührt – in einem guten Licht darstellen", sagt Wolff.

Alle Befragten sind sich einig und appellieren an den neuen Justizminister: Eine großzügigere – manche würden auch sagen, weniger kleinliche – Regelung der Verfahrenshilfe tue not, genauso, so wird betont, wie ein besserer Kostenersatz für Personen, die vom Staat angeklagt, dann aber freigesprochen wurden. Derzeit bekommt man bei einem Einzelrichterfahren höchstens 1.250 Euro Anwaltszuschuss und nach einem Geschworenenverfahren höchstens 5.000, selbst wenn die tatsächlichen Kosten für den nunmehr Freigesprochenen jenseits der 100.000-Euro-Grenze lagen.