Amerikas geheime Kommandoaktionen
Schmutzige Kriege
Im Leben fügt sich doch immer eins zum anderen. Das trifft auch auf Jeremy Scahill zu. Vor fünf Jahren erschien sein Buch "Blackwater". Es befasst sich mit einer US-amerikanischen Sicherheitsfirma und wurde zum Bestseller. Und wie es sich für einen Bestsellerautor gehört, reiste der für die liberale Zeitschrift "The Nation" tätige Journalist quer durchs Land zu Lesungen und Vorträgen.
8. April 2017, 21:58
"Nach der Veranstaltung kamen oft große, muskulöse Männer mit Tätowierungen auf mich zu und sagten: 'Also, wir mögen Ihre politische Anschauung nicht, aber bei Blackwater sind Sie richtig gelegen.'", erzählt Jeremy Scahill. "Und so kam ich in Kontakt mit Vertretern der Elitetruppen wie Navy Seals oder Delta Force. Diese hatten ihre eigenen Gründe, warum sie Blackwater nicht mochten. Der Gedanke eines Söldnerheers war ihnen zuwider. Einige werden sich gedacht haben, ich würde vor ihnen zurückschrecken und sie als Kriegsverbrecher beschimpfen. Aber so war das nicht. Ich ging mit ihnen auf ein Bier. Man traf sich also auf einer menschlichen Ebene. Und auf diese Weise baute ich mir ein Informantennetz auf."
So tauchte Jeremy Scahill in die Welt der militärischen verdeckten Operationen ein. Diese sind das Thema des neuen Buches "Schmutzige Kriege". Es handelt von Kriegen, die im Schatten geführt werden. Niemand sollte eigentlich davon wissen. Weder die Journalisten noch die Bürger. Selbst die Gesetzgeber im Kongress, so der Autor, beklagten sich, dass die Regierung sie weniger informierte, als sie von Rechts wegen eigentlich müsste.
Joint Special Operations Command
Den Titel "Schmutzige Kriege" entlehnte Jeremy Scahill aus einer anderen Ära, erzählt er: "Der Titel bezieht sich auf die 1970er und 1980er Jahre, als die USA auf der Seite rechter Diktatoren in Lateinamerika standen. Im Geheimen wurden beispielsweise die antisandinistischen Contras in Nicaragua und in Honduras das Bataillon 316 unterstützt. In Chile standen die USA auf der Seite des Diktators Augusto Pinochet. Das waren die schmutzen Kriege in Lateinamerika. Mir kommt vor, wir kehren zu dieser Ära zurück. Die USA werden große militärische Einsätze künftig bleiben lassen und statt dessen lieber in verdeckte Operationen und Präzisionstechnologie investieren."
Die Drehscheibe der modernen verdeckten Kriege im Kampf gegen Terrorismus ist das sogenannte "Joint Special Operations Command", kurz JSOC genannt. Diesem unterstehen die Eliteeinheiten aller Waffengattungen, also etwa die Navy Seals der Marine, die Delta Force der Armee sowie die Night Stalkers der Luftwaffe. Letztere sind Elitehelikopterpiloten. Von ihnen behauptet man, dass sie einen Hubschrauber auf dem Dach eines fahrenden Zuges sicher landen können. Und das in stockfinsterer Nacht.
Gegründet wurde JSOC nach 1980, nach Präsident Jimmy Carters so peinlich gescheiterter Mission, die US-Geiseln im Iran zu befreien. Ein JSOC-Einsatz hatte etwa die Befreiung eines Generals zum Ziel. Er war in Italien von den Roten Brigaden gekidnappt worden. Doch davon abgesehen sprach man über diese Truppen auch in den Hallen des Pentagon nur im Flüsterton. Das änderte sich, so Jeremy Scahill, mit den Terroranschlägen des 11. September:
"Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und Vizepräsident Dick Cheney haben schon unter den Präsidenten Nixon und Ford als Regierungsbeamte gearbeitet. Und sie waren der Meinung: die US-Außenpolitik brauche verdeckte Operationen. Sie wollten diese Einheiten einsetzen, weil ihre Aktivitäten ultra-geheim waren; außerdem war die Aufsicht durch den Kongress minimal. Diese Einheiten konnten unauffällig überall auf der Welt agieren. In der Folge wurden Milliarden in JSOC investiert."
Die Falschen erwischt
Die bevorzugten Methoden im US-Kampf gegen Terroristen sind Drohnen oder Kommandoeinsätze. Der berühmteste war wohl jener gegen Osama Bin Laden in Pakistan. Darüber, so der Autor, sei die Regierung sehr gesprächig. Man erfuhr, welche Waffen die Soldaten benutzt hatten und selbst, dass es sich bei dem Hund, der zum Einsatz kam, um einen belgischen Schäfer namens Kairo handelte. Doch abgesehen davon, so Jermey Scahill, wisse man nichts über die geheimen Kommandoeinsätze. Weder über deren Planung noch über die Durchführung. Er wüsste gerne, wie präzise die Information sei, die zu solchen Operationen führt; und wie oft schon unschuldige Zivilisten umgekommen sind. Einige wenige Fälle sind bekannt.
Im Februar 2010 zum Beispiel feierte der afghanische Polizeibeamte Mohammed Daoud Sharabuddin die Geburt eines Sohnes. Mit dabei war auch sein Bruder, ein Staatsanwalt, der oft mit den Amerikanern zusammenarbeitete. Das Fest dauerte bis in die frühen Morgenstunden. Dann kam eine US-Sondereinheit. Sie war auf der Suche nach zwei Taliban. Zweifel, dass sie am richtigen Ort waren, hatten die Soldaten offensichtlich keine. Denn Daoud wurde ohne Federlesens niedergeschossen. Jeremy Scahill beschrieb die weiteren Ereignisse in seinem Buch so:
Zitat
Während Daoud auf dem Boden zu verbluten drohte, sagte sein Bruder Zahir, er werde versuchen, den Angriff zu stoppen, er werde mit den Amerikanern reden. Als Staatsanwalt des Bezirks konnte er ein wenig Englisch. "Wir arbeiten für die Regierung!", schrie er hinaus. "Schauen Sie sich doch unsere Polizeiwagen an. Sie haben einen Polizeikommandanten verwundet!" Drei Frauen aus der Familie klammerten sich an Zahirs Kleidung und flehten ihn an, nicht hinauszugehen. Es half nichts. Zahir wurde niedergeschossen, wo er stand, die Kugeln der Scharfschützen trafen nicht nur ihn, sondern auch die drei Frauen. So war aus einer fröhlichen Familienfeier innerhalb von Minuten ein Massaker geworden. Es kamen sieben Personen ums Leben, wie die Familie sagt. Zwei der Frauen waren schwanger. Insgesamt verloren 16 Kinder ihre Mutter.
Kein Endspiel für schmutzige Kriege
Erfahrene Militärs wollen vor Kriegsbeginn immer eines wissen: Wie sieht eigentlich das Endspiel aus? Doch für diese schmutzigen Kriege, meint Jeremey Scahill, gebe es kein solches Endspiel. Und auch keine Ausstiegsstrategie:
"Man hat eine neue Realität geschaffen, indem man den Kampf gegen Terrorismus als Krieg definiert. An sich ist Terrorismus ein Verbrechen. So sieht man das in den meisten Ländern. Man fahndet nach Terroristen, klagt sie an und steckt sie ins Gefängnis. In den meisten Ländern hält man nichts davon, Menschen mit einer Drohne vom Himmel aus abzuknallen. Das hat nichts mit Mitgefühl für Terroristen zu tun. Man ist dagegen, weil es eine gefährliche Strategie ist. In Afghanistan sieht das sogenannte Endspiel vor, dass die multinationalen Truppen in den nächsten zwei Jahren abziehen werden. Doch ich glaube, die USA werden weiterhin Vertreter der CIA und der Sondereinsatztruppen, die Operationen in ganz Afghanistan durchführen können, vor Ort belassen. Nur die große, konventionelle Streitmacht wird es nicht mehr geben.
Service
Jeremy Scahill, "Schmutzige Kriege. Amerikas geheime Kommandoaktionen", übersetzt von Maria Zybak, Gabriele Gockel, Sonja Schuhmacher und Bernhard Jendricke, Kunstmann Verlag