Oscar-Favorit "American Hustle"
In den 1970er Jahren sorgte der Abscam-Skandal für einiges Aufsehen in den USA. Das FBI wollte einige korrupte Politiker überführen und bediente sich dazu eines Trickbetrügers. In der Gaunerkomödie "American Hustle" schlüpft jetzt Christian Bale in die Rolle dieses raffinierten Charmeurs mit Haar- und Gewichtsproblemen.
8. April 2017, 21:58
Seine kongeniale Partnerin spielt Amy Adams und der eitle und überambitionierte FBI-Beamte wird von Bradley Cooper dargestellt. Regisseur David O. Russell zeigt nach seinem Boxerfilm "The Fighter" und der Tragikomödie "Silver Linings" auch mit "American Hustle" seine Vorliebe für Figuren, die in der Lage sind, sich neu zu erfinden. Dazu kommen schlagfertige Dialoge und ein Plot, der nicht nur das FBI, sondern auch das Kinopublikum mit offenem Mund zurücklässt.
Wolfgang Popp: Sie arbeiten häufig mit denselben Schauspielern zusammen. Zwischen Ihnen soll mittlerweile schon so ein Naheverhältnis bestehen, dass sie sich allein über Blicke verständigen können?
Ja, das ist eine schöne Sache, wenn man stumm miteinander kommunizieren kann so wie Musiker in einer Band. Ich gebe ihnen ein Beispiel. In der Szene, in der Bradley Cooper Christian Bale und Amy Adams verhaftet, waren die beiden anfangs viel zu dominant und Bradley ist neben ihnen fast verschwunden. Nach drei, vier Einstellungen habe ich ihm ein Zeichen gegeben. Wir hatten uns eine Geste für seinen FBI-Beamten ausgemacht, dass er sich nämlich in bestimmten Momenten wie ein Baseball-Spieler im Schritt kratzt. Und das hatte einen unglaublichen körperlichen Effekt. Plötzlich wurde er zum wilden Biest, sodass Christian und Amy völlig sprachlos waren. In meiner Familie gibt es übrigens einen Bauarbeiter, den ich immer als Testseher für meine Filme engagiere, weil er sich kein Blatt vor den Mund nimmt und mir frei heraus sagt, wenn ihm etwas nicht gefällt. Und der meinte, dass er mit den Figuren so richtig mitgegangen sei und er gerne mehr Zeit mit ihnen verbracht hätte.
Wie sind Sie auf die Idee für Christian Bales sehr spezielle Frisur gekommen, den an der Glatze festgeklebten Haarersatz und die seitlich darüber gekämmten echten Haare?
Das Vorbild für die Figur von Christian Bale, dieser Melvin Weinberg, sah genauso aus. Neben diesen Äußerlichkeiten ging es aber darum, zur Seele dieser Figur vorzudringen, die ja weit mehr ist als sein Haarproblem und sein Übergewicht. Er liebte seinen Adoptivsohn, zwei Frauen und seine Kunst der Verstellung. Er sah das auch als tatsächliche Kunst und war stolz auf seine Fähigkeiten wie andere Künstler auch. Und deshalb korrigiert er auch den FBI-Agenten, so als würde der bei ihm in die Schule gehen. Dazu kam dann noch, dass es für diese Figur ausgeschlossen war, körperliche Gewalt anzuwenden. Sogar als der FBI-Agent ihm seine Frisur zerstört, wird er zwar rot, bleibt sonst aber ganz ruhig. Was für ihn zählte, waren die richtigen Worte und seine Kunst der Überzeugung.
Der Sound-Track wirkt sehr organisch. Hatten Sie die Songs schon beim Schreiben im Kopf?
Ein Song, den ich seit dreißig Jahren liebe, spielt eine ganz zentrale Rolle im Film. Er ist von Duke Ellington und stammt aus einer ganz besonderen Phase in seiner Karriere. 1956 hatten ihn die Bebopper völlig von der Bildfläche verdrängt und Ellington musste sich ganz neu erfinden. Damals spielte er beim Newport-Jazzfestival und dort explodierte er förmlich. Und "Jeep's Blues", der Song, der für die Beziehung unseres Gaunerpärchens so wichtig wird, war eines der beiden großen Stücke auf diesem Konzert. In meinem Leben spielt "Jeep's Blues" eine ganz besondere Rolle, aber indem ich den Schauspielern etwas so Persönliches anvertraue, bekomme ich auch etwas sehr Persönliches von ihnen zurück. Auf das Electric Light Orchestra hat mich meine musikalische Beraterin Susan Jacobs gebracht. Ich habe zuerst abgewunken, weil die Musik von ELO sofort mit "Boogie Nights" assoziiert wird, also diesem Westküsten-Kokain-Sound, wie ich ihn nenne. Dann hat sie mir aber etwas zu hören gegeben, das ich nie und nimmer mit ELO in Verbindung gebracht hätte, sondern eher mit den Beatles. Wir haben Jeff Lynne, dem Gründer von ELO, einen Rohschnitt von "American Hustle" gezeigt und er mochte den Film so sehr, dass er uns unveröffentlichte Songs zur Verfügung stellte. Ich habe geglaubt, ich träume, als ich plötzlich über all diese klassischen 70er-Nummern verfügen konnte, die kein Mensch kannte. Ich mag nämlich das opernhafte der damaligen Musik. Da gibt es in jedem Song noch fünf verschiedene Ideen und der Song verändert dadurch laufend sein Gesicht.
Es gibt einen spannenden Oscar-Kampf heuer, denn "American Hustle" hat mit "Gravity" und "Twelve Years A Slave" zwei sehr starke Konkurrenten. Fühlen sie sich eher als Favorit oder Außenseiter oder machen Sie sich über die Oscars gar keine so großen Gedanken?
Es gibt nur ganz wenige Filmemacher, die ein sehr persönliches, intensives und ungewöhnliches Kino machen und damit auch kommerziell erfolgreich sind. Außer Quentin Tarantino fallen mir da nicht viele ein. Uns ist das jetzt mit drei Filmen in Folge gelungen und geschafft haben wir das nur, weil ich immer sage, die Sache kann jeden Moment schief gehen und wir müssen deshalb alles geben, so als wäre der nächste Film unser letzter Film. Robert de Niro hat eine Aufführung von "American Hustle" organisiert, was mir sehr viel bedeutet hat und bei der Gelegenheit hat er mich zur Seite gezogen und gemeint, freu dich, dass dein Film so oft nominiert wurde, aber denke daran, dass es keine Gerechtigkeit gibt und die ganze Oscar-Chose letztlich ein großer Schwachsinn ist. Aber obwohl ich das weiß, ist es doch so wie mit der Kirche. Da gibt es auch viel Mist und trotzdem mag ich sie, weil es immer irgendetwas gibt, das mich weiterbringt. Und bei den Oscars reicht es mir auch, wenn ich eine einzige Sache für mich mitnehme und um all das andere kümmere ich mich einfach nicht.