Kunst in Marseille

Auch nach Ende des europäischen Kulturhauptstadtjahres kann die südfranzösische Hafenstadt Marseille weiterhin mit kulturellen Leckerbissen aufwarten: "Gesichter - Picasso, Magritte, Warhol" ist der Titel einer Ausstellung, die in der Vieille Charité läuft.

Im Mittelpunkt steht die Darstellung des Menschen seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Und zwar in Form von 150 Bildern, Fotografien, Skulpturen und Filmausschnitten, die ein buntes Panoptikum moderner Kunst bilden.

Ausstellungsplakat, Ausschnitt

(c) La Vieille Charité

Kulturjournal, 21.02.2014

Die Namen der zahlreichen Künstler, deren Werke in Marseille zusammengetragen werden konnten, lesen sich wie das Who is who der modernen und der Gegenwartskunst: Picasso, Magritte und Warhol sind ja schon im Ausstellungstitel vertreten. Doch das ist bei weitem nicht alles: Dazu kommen Exponate von Jean Michel-Basquiat, Brassai, Max Ernst, Edvard Munch oder Man Ray, um nur einige zu nennen. Mit Arnulf Rainer ist auch Österreich vertreten. An die 100 Künstler sind es insgesamt. Nicht ohne Stolz führt Kurator Guillaume Theulière durch die Ausstellungsräume:

"Diese Schau ist wirklich außergewöhnlich. Es ist gelungen 150 Werke der größten Künstler des 20. Jahrhunderts an einem Fleck zu versammeln. Den Besucher erwarten Entdeckungen, Überraschungen und auch eine gute Prise Humor."

Der Mensch in seiner Subjektivität

Gemeinsam ist all diesen Gemälden, Fotos, Skulpturen und Filmausschnitten ihre Auseinandersetzung mit der Darstellung des Menschen. Denn diese Darstellung unterscheidet sich ab Beginn des 20. Jahrhunderts deutlich von den Abbildungen früherer Zeiten. Sie befreit sich von den Fesseln einer naturgetreuen Wiedergabe der Realität und spiegelt in vieler Hinsicht auch die gesellschaftlichen Entwicklungen ihrer Entstehungszeit wider, erklärt Christine Poullain, die Direktorin der Museen von Marseille:

"Es ist interessant zu sehen, wie wichtig es den Künstlern - vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis zum heutigen Tag - war, den Menschen und sein Antlitz in seiner Subjektivität zu zeigen, statt ihn nur auf sein Äußeres zu reduzieren. Die Künstler haben versucht, das Innenleben, die Psyche des Menschen in dessen Abbildung miteinzubeziehen, seine Gedanken widerzuspiegeln und das ist sehr spannend."

Oft scheinen die dargestellten Menschen entfremdet, aus ihrer natürlichen Umgebung gerissen. Manche wirken - wie etwa bei Francis Bacon - gepeinigt, fragend, andere sind - wie bei Giacometti - so fragil, dass sie sich beinahe in Luft aufzulösen scheinen. Aber auch Traum und Fantasie haben ihren Platz - wie bei Magritte. Und dann sind da die ausdruckslosen, fast abwesenden Gesichter von Alex Katz. All diese Porträts können als künstlerischer Ausdruck einer inneren Verstörung in unsicheren, bewegten Zeiten verstanden werden.

Ein Fremder in der Welt

Vor dem Hintergrund der Umwälzungen der zweiten industriellen Revolution, des technischen Fortschritts, aber auch der Gräuel zweier Weltkriege. Der Mensch scheint ein Fremder zu sein in dieser Welt, die ihn umgibt. Die dargestellten Individuen sind entstellt, verwandeln sich, sie werden zu Robotern, zu Menschen ohne Gesicht, zu Abbildern der Einsamkeit oder auch zum Objekt des Begehrens.

Den Rahmen für die Ausstellung bildet eines der schönsten noch erhaltenen Gebäude aus dem 17. Jahrhundert, die Vieille Charité, ein ehemaliges Armenhaus im historischen Viertel Le Panier. Die Ausstellung gilt schon jetzt als eines der kulturellen Highlights des Jahres 2014 in Marseille. Nicht zuletzt geht es darum den Beweis zu erbringen, dass die Stadt auch nach Ablauf des vergangenen Kulturhauptstadtjahres kulturell noch etwas zu bieten hat.