Die "Café Sonntag"-Glosse von Franz Schuh

Opportun

Wer mich kennt, der sieht es ja - ich bin nicht so gut angezogen. Die Jeans passen kaum und sie haben unten schon Fransen und das Sakko ist nicht frei von unbeseitigbaren Flecken. Vom Mantel will ich gar nicht reden, der sich nur halb zuknöpfen lässt.

Ich hab' halt kein Geld fürs G'wand, denn ich trag' mein ganzes Geld in Buchhandlungen und in Restaurants - nur in die besten Buchhandlungen und in die besten Restaurants.

Jüngst gehe ich ins allerbeste Restaurant, kommt mir der Inhaber, der Maitre, entgegen, in einem dunklen Zweireiher - die Bügelfalten eine diskrete Komposition, das Sakko fällt sanft, ein strahlend weißes Hemd schaut überaus präsent und doch unaufdringlich aus dem Ärmel hervor. "Monsieur", sagte ich, "sind Sie aber elegant". Der Maitre lächelte und erwiderte ohne die geringste Ironie: "Mein Freund, so muss es sein - ich habe ja auch elegante Gäste."

Das ist professioneller Opportunismus – ein Opportunismus, den der, der zahlt, erwarten kann. Diese Art von Opportunismus gibt es in allen Stufen und Berufen. Zum Beispiel wurde einmal ein großer Dichter gefragt: "Na, was sagen Sie dazu. Jetzt schreibt der Herr Theaterdirektor selber Stücke", und der Dichter antwortete: "Ich find's auch schrecklich - schreibt der doch selber Stücke. Aber", fügte der Dichter hinzu, "ich hab das Stück auf der Probe gesehen und ich muss sagen: Es ist leider ein sehr gutes Stück".

Das ist ein zweiseitiger Opportunismus, einerseits bewahrt man so den Ruf, kritisch zu sein, andererseits drückt man sich um die Folgen herum, die so eine Kritik haben könnte, und die hohe Schule des Opportunismus besteht nun darin, dass so ein Mensch keineswegs lügt, sondern dass er ehrlich so denkt.

Aber auch ich bin zweiseitig. Im zelebrierten Abscheu gegen den Opportunismus sehe ich einerseits eine unbillige Überforderung: Der Mensch soll autonom sein, aber er ist es ja nicht – er muss die Gegebenheiten, in denen er existiert, wenigstens zur Kenntnis nehmen, bevor er sie als Held vielleicht umstürzt. Aber nicht nur der Umsturz, sondern auch die Anpassung kann eine Leistung sein. Was nützt einem die Ehrlichkeit, hat Bertolt Brecht, ein sehr intelligenter Teilzeit-Opportunist gesagt, was nützt einem die Ehrlichkeit, wenn sie immer nur gegen den Ehrlichen ausschlägt...

Andererseits - die dumpfen Opportunisten, diese Kriecher und Schleimer, in jedem vorgesetztem Hinterm sind sie drin. Mit Recht haben die Menschen eine zu hohe Meinung von sich, als dass ihnen diese beliebte Art der Selbsterniedrigung an ihren Mitmenschen jemals gefallen könnte.