Abhöraffäre bringt Erdogan unter Druck

Seit der Aufdeckung eines weitreichenden Korruptionsskandals kurz vor Weihnachten kommt die Türkei nicht zur Ruhe. Die Regierung Erdogan wirft ihren Gegnern vor, tausende Personen illegal bespitzelt zu haben, darunter auch den Regierungschef. Und prompt ist im Internet der Mitschnitt eines sehr brisanten Telefonats aufgetaucht - zwischen Erdogan und seinem Sohn.

Morgenjournal, 26.2.2014

"Böswilliger Angriff"

Ob die Telefonate zwischen Recep Tayyip Erdogan und seinem Sohn tatsächlich so abgelaufen sind steht noch nicht fest: Nach einem weit verbreiteten Mitschnitt reden die Beiden über Dutzende Millionen von Euro , die sich angeblich in Erdogans persönlichem Safe befunden haben sollen. Genüsslich hat Oppositionsführer Kilicdaroglu das Tonband den Mitgliedern seiner Fraktion vorgespielt: "Ein junger Mann, der wie Erdogans Sohn klingt, wird von seinem Vater aufgefordert, schnell alles aus dem Safe zu holen und an verschiedenen Orten zu verteilen. Ein älterer Mann mit Erdogans Stimmlage drängt darauf, dass alles schnell passieren müsse, denn zur Zeit gebe es eine große Polizei-Aktion gegen einige seiner Minister."

Das soll sich am 17. Dezember des Vorjahres zugetragen haben, also an jenem Tag, als der große Korruptionsskandal um vier Minister geplatzt ist. Gestern, einige Stunden nach der Veröffentlichung des Tonbands, hat Erdogan von Fälschung und Manipulation gesprochen: Es handle sich um einen böswilligen Angriff auf den Regierungschef der Türkei. Sogar verschlüsselte Kommunikationssysteme seien geknackt worden, um ihm etwas in den Mund zu legen. Doch seine Gegner würden sich täuschen und bei den Wahlen ihre Antwort bekommen.

Restriktion als Reaktion

Gemeint sind damit in erster Linie die Anhänger des islamischen Predigers Fetullah Gülen – einst Erdogans Verbündete, jetzt seine Feinde. Ihnen haben regierungsnahe Zeitungen bereits am Montag vorgeworfen, über ihre Kontaktleute bei Polizei und Justiz 7.000 Personen bespitzelt zu haben, darunter auch Erdogan und seine Minister. Diese Behauptung ist derzeit ebenso schwer zu überprüfen wie die Echtheit des Telefon- Mitschnitts.

Offenbar um Enthüllungen dieser Art zuvorzukommen, hat Erdogan in den letzten Wochen eine Reihe von Gesetzen durchgepeitscht, die eines gemeinsam haben: der Rechtsstaat wird Schritt für Schritt ausgehebelt.

Geheimdienst unter Erdogans Kontrolle

Das neue Internetgesetz lässt die Schließung unerwünschter Internetseiten zu. Betreiber müssen vor Gericht ihre Harmlosigkeit beweisen. Weiters wird der Geheimdienst MIT Erdogans persönlicher Kontrolle unterstellt und nach außen abgeschirmt. Geheimdienstmitarbeiter können ab nun von keinem Gericht mehr belangt werden, außer Erdogan gibt seine Erlaubnis. Und nach wie vor drängt die AKP auf ein weiteres Gesetz, das die Justiz gänzlich unter Kontrolle der Regierung stellen soll.

Demonstrationen gegen die Korruption an der Regierungsspitze wurden in Istanbul und Ankara vergangene Nacht mit Tränengas und Wasserwerfern auseinandergetrieben. Vier Wochen vor den landesweiten Lokalwahlen fragen sich viele Türken, wie es unter den jetzigen Umständen zu einer fairen Wahlentscheidung kommen soll.