Daten im Internet
Wem gehört die Zukunft?
Ein Buch auf Papier über das Internet, geschrieben vom Erfinder der virtuellen Realität, das wirkt auf den ersten Blick paradox. Aber Jaron Laniers Text ist schon ganz richtig gelandet in dieser Form, denn er richtet sich an uns.
8. April 2017, 21:58
"Wem gehört die Zukunft?" hat Lanier 2013 geschrieben, allerdings bevor Edward Snowden die Zusammenarbeit zwischen den großen Serverfirmen und dem amerikanischen Geheimdienst enthüllte. Umso drängender ist nun Laniers Frage: "Wem gehört die Zukunft?"
Ausspioniert!
Ja, er habe maßgeblich daran mitgewirkt, die Internet-Strukturen aufzubauen, die heute bestehen, und die seines Erachtens gerade dabei seien zu entgleisen, gesteht Jaron Lanier in seinem Buch "Wem gehört die Zukunft?" - eine Entgleisung mit schlimmen Folgen für Leben und Auskommen der Menschen.
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Gängige digitale Konzepte behandeln Menschen nicht als etwas Besonderes. Wir werden vielmehr als kleine Rädchen in einer gigantischen Informationsmaschine betrachtet. Dabei sind wir die einzigen Lieferanten der Informationen und gleichzeitig ihr Bestimmungsort. Das heißt, wir geben der Maschine überhaupt erst ihren Sinn.
Das Netz ist weder offen noch frei, stellt Lanier eingangs klar. Es sei der ideale Raum, um Daten zu kopieren, Menschen auszuspionieren, ihre Äußerungen zu verfolgen und sie zu beurteilen. Megafirmen wie Google, Amazon, Facebook und Apple täten es und verdienten damit ihr Geld. Über Werbung, Verknüpfung der Daten und Weitergabe an Versicherungen, Parteien, Kreditinstitute. Wer sich davor schützen wolle, dürfe das Internet nicht benutzen. Aber das sei nur noch für wenige eine Option. Die meisten Menschen seien unfreiwillig abhängig von Netzdiensten, die - sobald sie eine kritische Größe erreichten - quasi ein Monopol hätten. Wer mit möglichst vielen Leuten in Kontakt kommen wolle, dem bliebe nur Facebook, das mit 1,2 Milliarden Nutzern größte soziale Netzwerk.
Mit den eigenen Waffen schlagen
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In einer Welt der digitalen Würde wäre jeder einzelne Mensch der kommerzielle Eigentümer aller seiner Daten, die sich aus seiner Situation oder seinem Verhalten ermitteln lassen.
Lanier schlägt vor, das Internet mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Kopieren von Daten nur noch mit Angabe der Quelle, wie es Wikipedia bereits vormacht, wo jeder Artikel seine Versionsgeschichte angibt - damit am Ende jeder Nutzer für die Eingabe seiner Informationen, Filme und Fotos entlohnt werden könne - mit Mikropayments. Denn die großen Serverfirmen verdienten viel mehr an den Daten ihrer Nutzer, als der Gegenwert des kostenlosen Zugangs beispielsweise zu Suchergebnissen betrage. Big Data mache es außerdem möglich, dass die Besitzer der leistungsstärksten Computer sich immer größere Teile des bisher analogen Marktes einverleibten.
Bislang waren die meisten Menschen, die sich von ihrer Arbeit ernähren konnten, auf lokaler Ebene erfolgreich, erklärt Lanier: Ein Bäcker hatte die knackigsten Brötchen, ein Bankberater kannte seine Kunden und wusste, welcher davon seinen Kredit zurückzahlen würde, ein Buchhändler bot seiner Kundschaft nebenbei auch Gesprächskreise über neue Bücher an. Die großen Server wilderten genau auf dieser lokalen Ebene und vernichteten die Existenz der Mittelschicht, schreibt Lanier. Das Argument der großen Anbieter sei: Wir sind billiger, effizienter und wir sind gut, denn das Netz steht für Freiheit und Emanzipation.
Null Verantwortung
Lanier, der unter anderem als Berater der Firma Microsoft arbeitet, hält das für Heuchelei. Er weist darauf hin, dass Online-Imperien auch deshalb so rasant wachsen, weil sie keine Verantwortung für das übernehmen, was sich auf ihren Plattformen abspielt. Der Zimmermakler Airbnb haftet nicht, wenn ein Gast die Wohnung seines Gastgebers zerstört.
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Im Grunde wurde ein globaler Risikopool geschaffen, bei dem alle für das Risiko aufkommen müssen, doch der Server, der im Pool die Erfolge herausfiltert, befindet sich in Privatbesitz. Die Gewinne werden privatisiert, die Risiken sozialisiert. Das Erfolgsmuster der vernetzten Finanzwelt.
Jaron Lanier geht von einer massenhaften Vernichtung von Arbeitsplätzen durch Big Data, Künstliche Intelligenz und die großen Serverfirmen aus. Er schreibt, so viel könne man im Netz gar nicht sparen wie dort Einkommen vernichtet werde. Der Kapitalismus sei ernsthaft bedroht, wenn sich ein feudalistisches System ausbreite, das die Märkte schrumpfen ließe. Und dann führt er das Beispiel Kodak an, 100 000 Mitarbeiter wurden arbeitslos, als die User massenhaft den Internetfotodienst Instagram benutzten - Instagram hatte 13 Mitarbeiter, als es von Facebook übernommen wurde.
Mehr Überblick
Das Buch "Wem gehört die Zukunft" von Jaron Lanier ist so wichtig wie das nur wenige Sachbücher von sich behaupten können, denn im Moment eines großen Wandels verstehen die wenigsten, was eigentlich vor sich geht. Jaron Lanier nutzt seinen weiten Horizont - er ist Erfinder, Informatiker, Musiker - um uns ein wenig mehr Überblick zu verschaffen.
Nun ist das Buch keine leichte Lektüre. Außerdem strotzt es vor Wiederholungen, was daran liegen mag, dass es eine Ansammlung von Reden und Referaten ist, in denen Lanier sein Thema immer wieder von vorne durchdeklinieren musste. Ein kompetentes Lektorat wäre da hilfreich gewesen. Trotzdem: Jaron Lanier, der bekennende Netzeuphoriker, der Außenseiter unter den Denkern in Silicon Valley, tut etwas Wichtiges: Er fragt nach den gesellschaftlichen Kosten des technologischen Fortschritts. Wer gewinnt, womit und wer verliert? Welches Menschenbild haben die Chefs der großen Server-Firmen? Was treibt sie an? Wieso kooperieren Politik und Netz-Wirtschaft in den USA so harmonisch?
Von den alten Griechen haben wir gelernt, die Welt zu analysieren und zu diskutieren. Und es gibt wirklich keinen Grund, ausgerechnet jetzt damit aufzuhören.
Service
Jaron Lanier, "Wem gehört die Zukunft? Du bist nicht der Kunde der Internetkonzerne. Du bist ihr Produkt", aus dem amerikanischen Englisch von Dagmar Mallett und Heike Schlatterer, Hoffmann und Campe
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