Frankreich sucht Bürgermeister

Am 23. und 30. März finden in Frankreich Gemeinderatswahlen statt. Dabei gibt es ein bislang noch nie da gewesenes Phänomen, das ein weiterer Beleg für zunehmende Politikmüdigkeit und Krise der Demokratie in diesem Land ist: Hunderte Gemeinden werden überhaupt keine Bürgermeister-Liste zustande bringen, denn immer häufiger will überhaupt niemand mehr Bürgermeister werden.

Morgenjournal, 8.3.2014

Aus Paris berichtet

"Motivation nimmt ab"

Stell dir vor, es sind Wahlen und keiner will sich wählen lassen. Ganz so schlimm kam es letztendlich nicht, doch eine Woche vor Abgabeschluss der Wahllisten gestern hatten die Präfekturen in rund zwei Dutzend der 95 französischen Departements einen Hilferuf ausgestoßen.

Teilweise hatte ein Drittel der Kommunen keine einzige Liste deponiert, von konkurrierenden Listen ganz zu schweigen. Der Sprecher des Verbands der französischen Bürgermeister: "Ich spüre ganz klar, dass die Motivation abnimmt. Angst vor der Verantwortung vielleicht. Ich bin seit 19 Jahren gewählt, bisher hatte es immer Kandidaten gegeben, jetzt wird es offensichtlich schwieriger."

Noch nie eine Gemeindereform

In einem 300-Seelen-Dorf im südfranzösischen Departement Drome, 40 Kilometer vom nächsten Bahnhof und vom Rhonetal entfernt, versuchte der betagte, scheidende Bürgermeister vergangene Woche noch verzweifelt, einen Kandidaten für seine Nachfolge zu finden. Ihm selbst ist die Arbeit endgültig zu viel geworden: "In den ländlichen Gemeinden muss man alles machen und alles können. Ich muss mich um die Wasserversorgung kümmern, die Vermietung von Gemeindehäusern, dann die ganzen Versammlungen. Man ruft uns wegen allem möglichen an: Beerdigungen, jemand , der krank ist, man hat mich um zwei Uhr nachts wegen eines Wasserschadens rausgeklingelt. Und vor allem: Man darf nicht glauben, dass man uns dafür Danke sagt, im Gegenteil."

Wenn tausende Gemeinden nur mit größter Not überhaupt eine Liste zustande gebracht haben und in über 60 Gemeinden gar niemand antritt, so rächt sich damit auch die Tatsache, dass Frankreich nie eine Gemeindereform erlebt hat und sich die Kompetenzen der Bürgermeister im letzten Jahrzehnt gleichzeitig deutlich vermehrt haben.

Bürgermeister noch am meisten Vertrauen

36.000 eigenständige Gemeinden ist mit Abstand Europarekord - und die administrativen und juristischen Anforderungen übersteigen die Kapazitäten vieler Bürgermeister. Als zusätzliche Schwierigkeit kommt dazu, dass diesmal zum ersten Mal auch Kommunen mit zwischen 1.000 und 3.500 Einwohnern paritätisch besetzte Listen präsentieren mussten. Ein Bürgermeister aus Nordfrankreich: "In den kleinen Städten gibt es ja kaum Hilfe, der Bürgermeister hat ein oder zwei Angestellte und macht so ziemlich alles selbst. Er muss sich um Baugenehmigungen kümmern, die Straßen von Schnee befreien, die Leute aufnehmen, wenn es Überschwemmungen gibt. Der Bürgermeister ist so etwas wie das Mädchen für Alles der Gemeinde."

Gleichzeitig ist die Tatsache, dass es erstmals Gemeinden gibt, wo überhaupt niemand zur Kommunalwahl antritt, ein Paradox, denn bei aller Politikverdrossenheit vertrauen die Franzosen unter allen Politikern ihren Bürgermeistern noch mit Abstand am meisten.