Hat die Erde eine Zukunft?
Countdown
Der US-amerikanische Wissenschaftsautor Alan Weisman fragte sich in seinem Buch "Die Welt ohne uns": Was passiert mit der Welt, wenn die Menschheit verschwindet? Um die Zukunft der Erde geht es auch in seinem neuesten Sachbuch "Countdown" - diesmal keine reine Fiktion, sondern Reportagen aus 21 Ländern, die eine Frage ins Zentrum stellen: Wie geht es weiter, wenn die Menschheit so wächst wie bisher?
8. April 2017, 21:58
Bestandsaufnahmen auf der ganzen Welt
Wie viele Menschen erträgt die Erde, ohne deren ökologisches Gleichgewicht zu gefährden? Die Antwort auf diese Frage führt Alan Weisman auf eine Reise um die ganze Welt. Er spricht mit Politikern, Wissenschaftlerinnen und Klima-Aktivisten, besucht Regionen mit extremem Bevölkerungswachstum und solche mit schrumpfenden Gesellschaften. Seine umfassenden Reportagen sind keine schrillen Weltuntergangsphantasien, sondern nüchterne Bestandsaufnahmen. Das Fazit: Probleme wie Umweltzerstörung, Klimawandel und Ressourcenknappheit lassen sich nur aus der Welt schaffen, wenn die Menschheit nicht mehr so wächst wie heute.
Es sei paradox, meint Weisman: Je mehr Nahrungsmittel produziert werden, desto größer werde auch die Nachfrage. Und noch ist kein Ende in Sicht. Auch wenn die Bevölkerung in vielen Industriestaaten stagniert: weltweit wächst die Menschheit pro Woche um mehr als eine Million. Um alle zu ernähren, müssten in den nächsten 50 Jahren so viele Nahrungsmittel produziert werden, wie im Verlauf der gesamten Menschheitsgeschichte insgesamt konsumiert wurden, rechnet der Wissenschaftsjournalist vor. Eine Rechnung, die in Zukunft nicht mehr aufgehen kann, meint Alan Weisman.
"In einem Nationalpark nehmen wir es als selbstverständlich hin, dass die Balance zwischen Jäger und Beute stimmen muss, weil sonst das ganze System zusammenbricht", so Wiseman. "Aber wenn wir über die eigene Spezies sprechen, wird es schnell persönlich. Es fühlt sich so natürlich an: Jeder Organismus will sich vermehren, da sind wir nicht anders. Aber wir unterscheiden uns eben auch nicht, was die Grenzen des Wachstums anbelangt: Wenn wir uns so weiter vermehren, bricht das System zusammen. Die Natur wird es richten, es sei denn, wir übernehmen die Kontrolle und hören auf, zu wachsen."
Je mehr Nahrung, desto mehr Menschen
Alan Weismans Prognosen erinnern an einen Bestseller aus dem Jahr 1968: "The Population Bomb", "Die Bevölkerungsbombe" hieß ein Buch seines Landsmannes Paul Ehrlich, der die Folgen des Bevölkerungswachstums in den dunkelsten Farben an die Wand malte: Spätestens in den 1980er Jahren, so Paul Ehrlich, würden Hungersnöte und Verteilungskämpfe die Menschheit dezimiert haben. Ein Trugschluss, wie man heute weiß. Dank neuer Technologien in der Landwirtschaft - grüne Revolution genannt - und der Erfindung des Kunstdüngers blieb die große Katastrophe bisher aus.
"40 Prozent von uns wären nicht auf der Welt ohne die Entwicklung des Kunstdüngers", meint Wiseman. "Gemeinsam mit der grünen Revolution hat das dazu geführt, dass sich die Menschheit in einem Jahrhundert vervierfacht hat. Die Bevölkerungskurve hat sich innerhalb des 20. Jahrhunderts von einer flachen Linie fast gerade nach oben bewegt."
Immer mehr Menschen verbrauchen aber immer mehr Ressourcen. Um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren, pressen wir die letzten Reserven aus dem Boden und führen die Erde an den Rand eines Kollapses. Dabei wäre es viel sinnvoller, stattdessen das Bevölkerungswachstum zu stoppen, meint Alan Weisman. Wie das möglich wäre, zeigt der Autor anhand der Bevölkerungsentwicklung in Ländern wie dem Iran, dem Land mit dem schnellsten Geburtenrückgang weltweit:
"Der Iran hat seine Bevölkerungszahl auf Reproduktionsrate heruntergebracht. Zwei Kinder pro Paar. Und das ein Jahr schneller als China - mit einem Programm, das auf Freiwilligkeit und der Bildung für Frauen setzt. Vorgeschrieben war nur ein Kurs vor der Hochzeit, in dem vorgerechnet wurde, wie viel es kostet, ein Kind großzuziehen. Auch Verhütungsmittel sind dort frei verfügbar. Das hat gewirkt!"
Die Suche nach Alternativen
Seine Recherchen bringen Autor Alan Weisman auch an Brennpunkte wie Pakistan, wo Bevölkerungswachstum, Armut und religiöser Fanatismus für eine besonders explosive Mischung sorgen. Er fährt nach Israel, wo Wüsten begrünt werden, um immer mehr Menschen zu ernähren, während den Palästinensern nebenan das Wasser abgegraben wird. Er bereist Niger, die Philippinen, Italien und Japan, um nur einige von Weismans Stationen zu nennen.
Im Mittelpunkt seines Buches "Countdown" steht aber immer die Suche nach Alternativen zum vorherrschenden Wirtschaftssystem, das vor allem auf Konsum setzt. Wie kann eine Wirtschaft gedeihen, die nicht auf ständiges Wachstum ausgerichtet ist?
"Wir werden gezwungen sein, den Begriff Wohlstand neu zu definieren", sagt Wiseman. "Wohlstand könnte eine geringere Nachfrage bedeuten, was heißt, dass wir weniger arbeiten müssen. Die Löhne werden hoch bleiben, weil die Menschheit schrumpft und es weniger Arbeiter geben wird. Wenn wir weniger arbeiten, weil es weniger zu produzieren gibt, haben wir mehr Freizeit. Es wird mehr Platz geben, um die Natur zu genießen. Wir werden lernen, eine gesunde Wirtschaft als das zu definieren, was sie sein sollte: als etwas, das unser Leben verbessert. Die Ökonomen, die auf Wachstum setzen, ignorieren so vieles. Sie erzählen uns, dass Bevölkerungswachstum für die Wirtschaft gut ist, weil das den Konsum ankurbelt. Der wahre Grund ist, dass es die Arbeit billiger macht. Sie wollen eine Armee von Armen, die um die Jobs konkurrieren, weil das die Löhne niedrig hält. Was die Welt aus dem Gleichgewicht bringt. Wir können es besser machen. Und wir müssen es besser machen!"
"Countdown. Hat die Erde eine Zukunft?" ist mehr als nur ein weiteres Buch aus der Ecke der Ökopessimisten, es ist guter Lesestoff, der auch viel Hintergrundinformation bietet. Vor allem aber ist es eine kluge Abrechnung mit dem Diktat des "Immer höher, immer schneller, immer mehr"!
Service
Alan Weisman, "Countdown. Hat die Erde eine Zukunft?", übersetzt von Ursula Pesch und Werner Roller, Piper Verlag