Bibelkommentar zu Johannes 4, 5 - 42
Die Erzählung des Johannesevangeliums über den Aufenthalt Jesu am Jakobsbrunnen ist lange und komplex und mit ihren verschiedenen Erzählsträngen erfordert sie geduldiges Zuhören. Sie schenkt dadurch aber auch Zeit, selber langsam zu begreifen, welche Kernbotschaft, welche Grundaussage in ihr steckt.
8. April 2017, 21:58
Mit großer Souveränität spricht Jesus mit der Frau und mit seinen Jüngern. Unweigerlich muss ich schmunzeln, wie scheinbar naiv die samaritanische Frau sich verhält und wie begriffsstutzig die Jünger sind. Wieso brauchen sie so lange, um zu begreifen, worum es eigentlich geht?
Doch geht es mir selbst nicht oft ganz gleich? Wie lange habe ich oft gebraucht, bis mir ein Wort Jesu aufgegangen ist?
Mit seinem geduldigen Dialog ermöglicht Jesus einen Weg des langsamen Erkennens, einen Weg, der die begrenzte menschliche Aufnahmefähigkeit berücksichtigt, einen Weg auch, der es möglich macht, dass der Glaube ausreichend Zeit hat, im eigenen Herzen zu wachsen.
Jesus redet behutsam und er redet klar. Daher ist auch nichts von Angst zu spüren, wenn die Lebenswirklichkeit der Frau zur Sprache kommt. Niemand muss sich davor fürchten, dass Gott den Menschen kennt – er-kennt. Dieses Erkennen von ganz innen her schenkt mir Vertrauen und ist der erste Schritt zur Bekehrung des eigenen Herzens hin zum Glauben an den einen Gott.
Jesus erweist sich als großartiger Begleiter: sowohl für die Frau, die voller Sehnsucht steckt, als auch für die Jünger, die sich ihm erwartungsvoll angeschlossen haben - und ebenso auch für mich in meinem Fragen und Suchen nach Glück, nach Lebendigkeit, nach dem Leben in Fülle.
Und zugleich führt mich Jesus ein in die Kunst des Begleitens, die mir als Christ aufgetragen ist. Stets neu muss ich dabei lernen, vor dem heiligen Boden des anderen stehen zu bleiben, dem anderen nicht von oben herab zu begegnen, sondern einen achtungsvollen Blick einzunehmen, der voll Empathie mit meinem Gegenüber ist, der aber zugleich auch heilt und befreit und der meine Mitmenschen ermuntert zum Wachsen im Glauben an Gott.
Die scheinbar zufällige Begegnung zwischen Jesus und der Frau am Jakobsbrunnen wurde zum Ort der Verkündigung einer Botschaft, die das Leben vieler Menschen verändert hat.
Ein Blick in den Brunnen wird von da an immer tiefer reichen als bis zur Wasseroberfläche. Ich werde in meinem Spiegelbild nicht mehr nur mich selber erkennen, sondern - das ist mein fester Glaube - dahinter den lebendigen Gott, der mir Wahrheit zumutet, der meine Verwandlung begleitet, der mich leben lässt.
Oft wird mein Glaube nicht mehr als eine unbestimmte Ahnung sein, dann und wann aber kann eine beglückende Gewissheit aufblitzen, die mich fähig macht zum Bekenntnis: Jesus ist für mich der Retter der Welt, eine Quelle lebendigen Wassers, die nicht nur mir Leben schenkt, sondern mich auch fähig macht, andere Menschen auf der Suche nach der Quelle, die in ihnen sprudelt, zu begleiten - behutsam und klar, achtsam und einfühlsam - so wie Jesus es vorgezeigt hat.