Dokumentation "Im Zweifel schuldig"

In den USA sollen geschätzte 30.000 Häftlinge unschuldig im Gefängnis sitzen. Ein Dokumentarfilm gibt Einblick in diese erschütternde Thematik.

Seit 14 Jahren sitzt Marcus Wiggins im Gefängnis für einen Mord, den er nicht begangen hat.

Seit 14 Jahren sitzt Marcus Wiggins im Gefängnis für einen Mord, den er nicht begangen hat.

(c) Austrianfilm

Es dauert oft jahrelang, um die Unschuld von Personen zu beweisen. Das weiß man im Zentrum für zu Unrecht Verurteilte in Chicago. Die aufwendigen Recherchen werden meist von Studenten durchgeführt. Das Chicagoer Center on Wrongful Convictions greift solche Fälle auf und versucht in oft jahrelanger Arbeit, die Unschuld seiner Klienten zu beweisen. Die aufwendige Recherche wird dabei häufig von Studenten geleistet. Der Dokumentarfilm "Im Zweifel schuldig" folgt jetzt fünf von ihnen, die mit dem Fall von Marcus Wiggins befasst sind, der seit 14 Jahren für einen Mord einsitzt, den er nicht begangen hat.

Kulturjournal, 01.04.2014

Chicagos South Side ist von Armut und Bandenkriminalität bestimmt. Am 17. Februar 1998 kommt es dort zu einer Schießerei, bei der ein junger Mann getötet wird. Noch am selben Tag wird Marcus Wiggins als Tatverdächtiger verhaftet. Im Film erinnert sich der Angeklagte an die Ereignisse vor mehr als vierzehn Jahren, als Polizisten mit gezogenen Waffen sein Haus stürmten, obwohl sie ihn nur befragen wollten.

Das Center on Wrongful Convictions wurde 1999 gegründet. Es ist Teil der Northwestern University und wird auch zum Großteil von der Universität finanziert. Der Rest des Geldes kommt von privaten Spendern und Stiftungen. Dennoch könnte das Center ohne die Mithilfe von Studenten seine Arbeit nicht leisten. Unterstützt von Juristen und Privatdetektiven machen sich fünf von ihnen auf die Suche nach neuem Material, das die Unschuld von Marcus Wiggins beweisen soll, denn: Marcus Wiggins wurde nur wenige Stunden nach dem Mord verhaftet. Wie kamen die Polizisten also auf Marcus Wiggins?

Zeitaufwendiges Prozedere zur Wiederaufnahme

Der deutsche Regisseur Axel Breuer hat die detektivische Recherchearbeit der Studenten über zweieinhalb Jahre hinweg dokumentiert. Er begleitete die fünf zum Tatort des Mordes, auf ihrer Suche nach den damaligen Kronzeugen der Verhandlung und bei ihrem Besuch bei Marcus Wiggins im Gefängnis.

Im Gefängnis fiel Breuer auf, "dass man den Leuten, die Unschuldsprojekte verfolgen, nicht besonders positiv gegenüber eingestellt ist". Trotzdem: Wenn jemand mit einer Kamera ins Gefängnis komme, werde dort alles von der schönsten Seite gezeigt, so Breuer. Eine Wärterin, die kurz mit dem Filmteam alleine im Raum war, sagte off the record, sie sei überzeugt, dass viele im Gefängnis säßen, die das ihnen zur Last gelegte Verbrechen nicht begangen hätten.

Mehrere tausend Ansuchen treffen jedes Jahr im Center ein, doch nur die wenigsten können auch tatsächlich aufgegriffen werden, denn das Prozedere ist immens zeitaufwendig, so Rob Warden, der Zentrumsleiter:

"Häufig müssen wir durch mehrere Berufungsverfahren gehen, nur um die Wiederaufnahme eines Falles zu bewirken, und allein das dauert meist schon mehrere Jahre. Es ist ein schwieriger Prozess in den USA, aber unsere Situation hat sich verbessert. Wir haben es geschafft, die Gerichte zu 'erziehen', weil wir sie auf erhebliche Probleme in der Rechtsprechung aufmerksam gemacht haben. Und so gibt es heutzutage eine viel größere Bereitschaft, Fälle mit Unschuldsvermutung neu aufzugreifen, als noch vor 15 Jahren, als wir mit unserer Arbeit begonnen haben."

Eine Frage des Geldes

In Axel Breuers Dokumentation "Im Zweifel schuldig" kann man beobachten, wie die Studenten auf immer mehr Unstimmigkeiten stoßen. Einer der Kronzeugen scheint untergetaucht, einer wurde ermordet, gerade als er sich zur Falschaussage bekennen wollte, und dann erfahren die Nachwuchsermittler, dass die Polizei bei der Identifizierung von Marcus Wiggins als Mörder manipulierend eingegriffen hat.

Der Film folgt aber nicht nur dem konkreten Fall von Marcus Wiggins, sondern deckt auch die Mankos des US-amerikanischen Rechtssystems auf. "Die Jury ist meiner Meinung nach der Hauptschwachpunkt des amerikanischen Rechtssystems", sagt Breuer, "weil Leute verurteilt werden können einfach aufgrund der Tatsache, dass der Staatsanwalt vielleicht ein bisschen überzeugender ist als der Anwalt." Dabei gehe es auch um Geld, so Breuer weiter: "Wer sich den teureren, besseren Anwalt leisten kann, der ist schon halb wieder draußen aus dem Gefängnis - egal, was er gemacht hat."

Augenzeugen überbewertet

Bei den wunden Punkten des Rechtssystems setzt auch das Center on Wrongful Convictions an und versucht mit verschiedenen Kampagnen Reformen zu erwirken. Größter Handlungsbedarf besteht etwa, so Zentrumsleiter Rob Warden, bei der Identifizierung durch Augenzeugen:

"Unser Rechtssystem erlaubt es, dass Schuldsprüche allein aufgrund einer einzigen Augenzeugen-Aussage getroffen werden können. Dabei ist die Fehlerquote unglaublich hoch. Einerseits, weil solche Aussagen erzwungen sein können, andererseits erinnern sich Menschen in Stresssituationen auch häufig falsch. Deshalb brauchen wir unbedingt Schutzmechanismen, um solche Fehlerquellen auszuschalten."

Dass das US-amerikanische Rechtssystem auf recht tönernen Füßen steht, schwingt in der Dokumentation "Im Zweifel schuldig" laufend mit, den roten Faden des Films bilden aber die detektivischen Nachforschungen der fünf Studenten. Und da merkt man, dass Regisseur Axel Breuer vom Werbefilm kommt, wo das Spiel mit Spannung und Emotionen zum täglichen Rüstzeug gehört. Was die Emotionen betrifft, hätte Breuer den Fuß an manchen Stellen ruhig ein wenig vom Gas nehmen können, aber was Spannung und Dramatik betrifft, ist das Material auf packende Weise arrangiert.