Die "Café Sonntag"-Glosse von Joesi Prokopetz

Wortschatzmeister

Der Wortschatz ist ein Schatz, den es stets neu zu heben gilt, für den man ein Schatzsucher bleiben muss und der, wenn man so will, immer woanders vergraben ist. Ein Wortschatz wächst in erster Linie, aber er schrumpft auch.

Beispiel: Im alten Rom gab es kein Wort für Dieselöl, weil es zu jener Zeit kein solches gegeben hat. Und heute in der Post-Moderne ist das Vokabel Trireme weitgehend unbekannt, weil es Triremen längst nicht mehr gibt.
Für Interessierte: Eine Trireme war ein rudergetriebenes Kriegsschiff des Altertums und vom 6. bis zum 3. Jahrhundert v. Chr. das wichtigste Kriegsschiff der Seemächte im Mittelmeer.

Und wenn ich hier von Wortschatz rede, dann - aus gegebenem Anlass – vom österreichischen Wortschatz. Das Österreichische ist für Österreicher -und mein Wortschatz ist, um ein anderes, weniger furchtbares Wort zu finden - "identitätsstiftend."

Wir trinken den Kaffee zwar noch überwiegend aus Häferln und nicht aus Tassen, stellen aber die Milch bereits vermehrt in den Kühlschrank und nicht in den Eiskasten, während tschüss baba fast schon verdrängt hat und bist du deppert, is des guat durch lecker bereits beinahe ersetzt worden ist.

Die wertvollsten Stücke eines Wortschatzes sind jedoch vorrangig Synonyme. Sodass man nicht sagen oder schreiben muss: Ich gehe dort hin, ich gehe da hin, ich gehe hier hin und dann gehe ich wieder heim, sondern statt gehen: abhauen, bummeln, eilen, flitzen, hasten, hetzen, hinken, humpeln, huschen, kriechen, latschen, laufen, marschieren, rasen, rennen, schleichen, schlendern, schlurfen, schreiten, schwanken, spazieren, stolzieren, tänzeln, taumeln, wandeln, wandern, waten, watscheln, wetzen, wieseln, zischen. Versuchen Sie es nachher mit Tisch.

Danach sollen wir streben, um vermittels eines reichhaltigen Wortschatzes uns möglichst präzise ausdrücken zu können und einem Zuhörer oder Leser zu vermitteln, was er sich und vor allem wie er sich etwas genau vorzustellen hat. Synonyme förderten und fördern die colloquiale Entanimalisierung des Menschen. Und das ist in einer Gegenwart der Sprachverknappung besonders bedeutsam, leben wir doch in einer Zwischeneiszeit der Homonyme.

Die Adjektive cool, arg, geil, zum Beispiel, werden für ein halbes Universum von Eigenschaften herangezogen und überwiegend mit der Vorsilbe ur gesteigert; also ur-cool, ur-arg, ur-geil. Da und dort hört man statt ur noch die Vorsilben mega, total und bei geil wird nicht selten das Substantiv Affentitten vorangestellt.

Also: Auf, lasst uns brechen und auf die Socken machen, um zu Hütern des Wortschatzes zu werden, damit er kein verlorener Schatz wird.
Abschließend sei noch frei nach Ludwig Wittgenstein zitiert:
Wo unsere Sprache endet, endet unsere Welt.