"Der Distelfink" von Donna Tartt

An ihren bisherigen drei Romanen hat die US-Amerikanerin Donna Tartt in jeweils zehn Jahre geschrieben. Und alle drei Bücher entwickelten sich innerhalb kürzester Zeit zu internationalen Bestsellern. Gerade ist das neue Buch von Donna Tartt auf Deutsch erschienen: In "Der Distelfink" gerät das Leben eines jungen Mannes durch einen verheerenden Terroranschlag völlig aus den Fugen.

Morgenjournal, 9.4.2014

Vor einem Wolkenbruch flüchten der 13-jährige Theo und seine Mutter ins New Yorker Metropolitan Museum of Art. Plötzlich erschüttert eine ungeheure Detonation das Gebäude. Theos Mutter stirbt und zahllose Kunstwerke werden unwiederbringlich zerstört. So unglaublich das Geschehen klingen mag, es war ein reales Ereignis, das Donna Tartt auf die Idee brachte, ein Buch über gefährdete Kunstwerke und Terrorismus zu schreiben:

"Ich war völlig schockiert über die Zerstörung der großen Buddha-Statuen von Bamiyan. Ich fand es schrecklich, dass diese mächtigen, steinernen Ruhepole, die dort seit Jahrhunderten gestanden waren, absichtlich gesprengt worden waren. Noch dazu passierte das im März 2001, gar nicht lange vor 9/11. Es war also so etwas wie ein Vorbeben zu der Katastrophe, die noch folgen sollte. Plötzlich schien etwas falsch zu laufen in der Wirklichkeit, es war wie das unheilvolle Schimmern eines dunklen Abgrunds."

Als sich Theo aus den Trümmern kämpft, nimmt er ein winziges Gemälde des niederländischen Barockmalers Carel Fabritius mit sich, den "Distelfinken", der Donna Tartts Roman auch den Namen gegeben hat. Das Bild wird ihn fortan an seine Mutter erinnern, seine Unruhe wird es ihm nicht nehmen. Donna Tartt: "Theo versucht, seine Mutter in anderen Dingen zu finden, und das gelingt ihm immer wieder an völlig unerwarteten Stellen. Deshalb handelt mein Buch von Ortsveränderungen, von Besessenheit und vom Versuch, etwas wiederzuerlangen, das für immer verloren ist."

Theo treibt es von New York nach Las Vegas und später weiter nach Europa, er gerät in kriminelle Kreise, wird drogenabhängig und schließlich zum Mörder. Auf erstaunliche Weise gelingt es Donna Tartt, gleichzeitig einen packenden Thriller und einen hochsensiblen Entwicklungsroman zu schreiben. "Es gibt eine Qualität, um die es mir als Schriftstellerin geht und die ich auch als Leserin immer suche und die so schwer zu finden ist", sagt Donna Tartt. "Ich möchte wie in der Kindheit in ein Buch versinken können, so gepackt von der Geschichte, dass ich nicht aufhören kann zu lesen. Charles Dickens hat seine Geschichten immer rasant vorangetrieben, gleichzeitig war aber auch jeder Satz für sich betrachtet ein Wunder. Und diese beiden Qualitäten, Dichte und Geschwindigkeit, besitzt jedes große Kunstwerk."

Über zehn Jahre folgt der Leser der Sinnsuche des jungen Theo und zehn Jahre hat Donna Tartt auch an ihrem Roman geschrieben. Einmal habe sie versucht schneller zu schreiben, erzählt sie, damals hätte sie aber den Spaß am Schreiben verloren: "Ich schreibe sehr dicke Bücher. Es ist wie bei einem Künstler, der eine riesige Wand bemalt, dafür aber einen Pinsel verwendet, der fein wie eine Wimper ist. Auch wenn alles schließlich ein großes Bild ergibt, arbeite ich doch sehr detailversessen und das ist auch der Grund, warum das Schreiben bei mir so lange dauert." Tragisch nur, dass das Lesen von Donna Tartts "Distelfink" umso schneller geht. Denn bei dem Suchtpotenzial, das der Roman entwickelt, durchquert man die 1022 Seiten in nur wenigen Tagen. Und danach hat man, wenn Donna Tartt ihrer Gewohnheit treu bleibt, wieder zehn quälend lange Jahre bis zu ihrem neuen Buch zu überbrücken.