Biopic über Yves Saint-Laurent

Interview mit Regisseur Jalil Lespert

Der französische Regisseur Jalil Lespert versucht in seinem Biopic "Yves Saint-Laurent" alle Facetten des Modegenies zu zeigen, die Höhenflüge genauso wie die Abstürze in Selbstzweifel und Alkohol. Jalil Lespert hat für seinen Film die Unterstützung von Yves Saint-Laurents Lebensgefährten und Nachlassverwalter Pierre Bergé gewonnen.

In den 1950er Jahren kommt es zu radikalen Veränderungen in der Pariser Modewelt. Zuerst stirbt überraschend der Modezar Christian Dior und dann übernimmt der erst 21-jährige Yves Saint-Laurent die künstlerische Leitung des berühmten Modehauses. Was folgt, ist ein Leben zwischen künstlerischen Sternstunden und schweren psychischen Zusammenbrüchen, zwischen dem völligen gesellschaftlichen Rückzug in Marokko und Skandalen, die die Klatschspalten der Boulevardpresse füllten.

Welche Herausforderung es bedeutet, das Leben eines Genies zu verfilmen, das verrät Jalil Lespert im Interview.

Wolfgang Popp: Jalil Lespert, ich habe gelesen, dass ihr Drehbuch auf einer Yves-Saint-Laurent-Biografie aus dem Jahr 2002 von Laurence Benaim basiert; was war das Besondere an diesem Buch?
Jalil Lespert: Es ist einfach das detailreichste Buch, auch weil die Autorin nicht nur von den altbekannten Dingen ausgegangen ist. Sie hat weniger die intimen Momente beschrieben, sondern den künstlerischen Prozess ins Zentrum ihrer Biografie gestellt und das war auch für mich das Spannendste. Über die privaten Angelegenheiten wollte ich im Vorfeld gar nicht so viel wissen, denn ich wollte hier ja meine eigenen künstlerischen Visionen einbringen.

Diese eigene Vision, wie hat die denn ausgesehen?
Mir ging es darum, eine Person zu zeichnen, die auch dem kollektiven Bild, das wir von Yves Saint-Laurent haben, entspricht. Es ist jemand, der viele Fantasien auslöst, auch Fantastereien. Er war ja eine sehr Rimbaud'sche Figur, die in einer sehr verrückten Welt gelebt hat, denn er war ja ein Künstler und Schaffender, der immer wieder Opfer seiner eigenen Dämonen geworden ist. Ich wollte deshalb diese spannenden künstlerischen Momente zeigen, aber nicht einen Künstler, der wie eine Diva daherkommt, der hysterisch und cholerisch ist, sondern einer, der sich völlig in seine Zeichnungen versenkt. Die waren wie ein Rettungsring für ihn, an dem er sich festhalten konnte, um nicht in seinen Depressionen zu versinken.

Sie erzählen die Geschichte aus der Perspektive von Pierre Bergé, der der Lebensgefährte von Yves Saint-Laurent war, warum haben Sie sich für diesen Blickwinkel entschieden?
Es ist immer sehr gefährlich und auch langweilig, ein Genie darzustellen. Ein Film über ein Genie braucht deshalb auch ein Gegengewicht. Zeigt man den Künstler immer nur im Schaffensprozess, trägt das keinen ganzen Film. Es kann natürlich eine sehr ästhetische Erfahrung sein, einem Künstler über Stunden hinweg bei der Arbeit zuzuschauen, aber das wollte ich nicht. Gerade weil jedem Genie etwas Unauslotbares und Unergründliches innewohnt, brauchte ich, um das darzustellen, ein Gegengewicht, also eine Art Katalysator. Pierre Bergé hat den ganz üblichen Blick auf das Genie gehabt, einen ähnlichen Blick wie der Mann von der Straße. Ich habe auch an den Film "Amadeus" gedacht, wo das Genie Mozart auch aus den Augen Salieris betrachtet wird. Weil es sehr schwierig ist, über Genies zu sprechen, halte ich diese Herangehensweise noch für die ehrlichste.

Es soll zu einer sehr engen Zusammenarbeit mit Pierre Bergé gekommen sein, was hat sich daraus ergeben?
Schon sehr früh, noch bevor ich mich in dieses große Abenteuer gestürzt habe, einen Film über Yves Saint-Laurent zu drehen, hatte ich Lust mit jemandem zu sprechen, der ihn näher und auch intim gekannt hatte. Und die Gespräche mit Pierre halfen mir, den richtigen Blickwinkel zu finden. Die Zusammenarbeit mit Pierre brachte aber auch noch ganz andere Vorteile mit sich.

Ich wollte unbedingt die Originalkleider benutzen. Die sind jedoch sehr empfindlich und haben einen ungeheuer hohen Wert. Das macht es schwierig, mit ihnen zu arbeiten und deshalb war es ganz wichtig, die Unterstützung von Pierre zu bekommen. Seine Stiftung besitzt aber nicht nur die Kleider, sondern dort arbeiten noch immer viele von Yves' ehemaligen Kollegen und die brauchten wir, um unsere Schauspieler, allen voran unseren Yves-Saint-Laurent-Darsteller Pierre Niney, zu coachen. Sie zeigten ihm, wie Yves Saint-Laurent gezeichnet hat und wie er Stoffe berührt hat, Dinge also, die man nirgendwo nachlesen kann.

Außerdem halfen sie uns, die Modenschauen von damals richtig zu inszenieren. Heute gibt es Szenographen, die alles ganz genau vorplanen und aufzeichnen, damals war das aber noch nicht üblich. Und der Musikeinsatz bei Modeschauen, das war damals eine von Yves Saint-Laurent eingeführte Neuerung. Ich habe im Vorfeld wirklich wie ein Journalist oder ein Archäologe gearbeitet, habe Details ausgegraben und gesammelt und diese Teile dann zusammengefügt. Herausgekommen ist nicht die Wahrheit, aber eine Fiktion, die der Wahrheit ähnelt.

Schon mit der ersten Einstellung wird ein nostalgischer Grundton festgelegt, sowohl in der Farbigkeit als auch in der Musikbegleitung. Mir kommt es da fast so vor, als wäre mit Yves Saint-Laurent eine ganze Epoche zu Ende gegangen?
Ja, es gibt da tatsächlich eine Nostalgie und die bezieht sich auf die "glorreichen dreißig Jahre", wie man in Frankreich die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg nennt. Damals schien noch alles möglich zu sein. Besonders in den 50er Jahren sind viele Grenzen und Tabus gefallen und viele Dogmen zerbröselt und ich glaube, dass das für viele Menschen einen großen Moment der Freiheit bedeutet hat.

Heute sind wir viel puritanischer als die Menschen damals und viel ängstlicher. Wahrscheinlich hat das mit den 80er Jahren zu tun, als es durch AIDS zu einer Desillusionierung gekommen ist. Deshalb haben wir heute Angst vor unseren Körpern und Angst vor der Gesellschaft und so ist es nur natürlich, dass wir nostalgische Gefühle für die damalige Zeit hegen.