Wie ticken die jungen Erwachsenen?
Generation Maybe
Oliver Jeges ist mit seinem Buch "Generation Maybe" nicht der erste, der versucht, die derzeit 20- bis Mitte 30-Jährigen zu charakterisieren und ihnen einen bestimmten Stempel aufzudrücken. "Maybe" also ist das Etikett, das Jeges – Jahrgang 1982, also auch noch Teil der Generation – den jungen Erwachsenen verleiht.
8. April 2017, 21:58
Die Unentschlossenen
Unentschlossene Jammerer, Zögerer und Zauderer sind die heute 20- bis 35-Jährigen, geht es nach Oliver Jeges, der sich zumindest selbst dabei nicht ausschließt.
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Ich bin ein Maybe. Meine Freunde sind Maybes. Deren Freunde sind es auch, wie sie mir erzählen. Und deren Freunde - nun gut, lassen wir das. Ich bin ein Maybe. Ich wäre zwar gern keiner, aber es ist nun mal so. Ich tue mich schwer, Entscheidungen zu treffen. Mich festzulegen. Mich einer Sache intensiv zu widmen. Ich habe kein ADHS. Und dennoch bin ich aufmerksamkeitsgestört, entscheidungsschwach. Ich sehe all die Optionen vor mir, die Verlockungen einer ultramodernen Welt, in der alles möglich ist. Egal, was wir wollen, was ich will, es ist meist nur einen Mausklick entfernt.
Die Maybes wurden in eine Zeit geworfen, in der es keine Anleitung mehr fürs Leben gibt, meint Jeges, denn wir leben in einer Zeit, in der sich alles so schnell und stark verändert wie nie zuvor. Wir könnten nichts mehr nachahmen, alte Wege und Pfade seien ausgetrampelt. Und auch das Prinzip Copy & Paste funktioniere nicht mehr, beschreibt Oliver Jeges den Taumel, in dem sich die jungen Erwachsenen angeblich befinden.
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Wir stehen am Anfang einer digitalen Epoche, in der unzählige Daten und die weltweite Kommunikation wie in einer Matrix im Hintergrund dahinrattern. Man muss sich das vorstellen wie ein Tweetdeck, nur abermillionenfach schneller. Wir stehen auf einer Schwelle zu einer zweiten Moderne, einer Nachmoderne, einer Postmoderne, oder wie auch immer man dieses neue Zeitalter nennen mag. Wir können unsere Alten nicht fragen, wie das geht. Wir können uns da nur gegenseitig durchhelfen.
"Ich poste, also bin ich"
Und wie bei jedem Generationenbuch über die Mittzwanziger darf auch in "Generation Maybe" das Thema Soziale Netzwerke und Facebook nicht fehlen. "Ich poste, also bin ich", stellt Oliver Jeges fest und beschreibt den ununterbrochenen sozialen Wettbewerb, an dem die jungen Erwachsenen täglich auf Facebook teilnehmen. Denn jeder zeigt sich von seiner besten Seite und postet, was das Zeug hält: Urlaubsfotos, Bilder von der neuen technischen Spielerei, dem neu bepflanzten Balkon oder dem entzückenden Nachwuchs.
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Und natürlich postet man - last but not least - sich selbst. Fotos, die man mit dem iPhone in Armlänge von sich geschossen hat. "Selfies" heißen diese Mini-Ego-Porträts. Viele haben sie zu Hunderten auf ihren Social-Media-Accounts herumliegen. Die Siegertypen immer am Lachen oder bei einer obskuren Sportart, die Frauen fotografieren merkwürdigerweise mit Vorliebe ihre Beine oder Füße. Die bildungsferne Jugend präsentiert sich gerne mit Duckface, die aufgeklärte Jugend auch, allerdings ironisch gebrochen.
Oliver Jeges lässt kein gutes Haar an seiner Generation. Nicht einmal die Überwachungspraktiken im Internet, also zum Beispiel der NSA-Skandal, könnten so etwas wie politisches Engagement oder Widerstand in uns regen. Denn unsere Ideologie, so Oliver Jeges, nennt sich "Policital Correctness".
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Wenn Geheimdienste unsere Daten wie eine Krake aus dem Netz saugen, sind wir sauer, obwohl wir das Monster ständig mit neuen Informationen und Daten über uns füttern. Wenn wir unsere intimsten Gefühle, peinlichsten Momente und politische Meinungen auf Facebook raushauen, macht uns das gar nichts, obwohl Facebook damit dankbar Geschäfte macht.
Die Zukunft will nicht kommen
Jeges beschreibt auch die schwierige Suche der Mittzwanziger nach dem perfekten Job. Nach einem Job, der Sinn bringt, der erfüllt, der all unseren Wünschen und Anforderungen entspricht.
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Was wir wollen, ist die ultimative Selbstentfaltung. Doch irgendwann merken wir, dass die Zukunft, so wie wir sie in unserem Köpfen erträumt und wie wir Zukunft gelernt haben, nicht kommen will. Statt Selbstverwirklichung hoffen wir dann auf eine Festanstellung. Wir sind die Erbverwalter unserer Eltern und Großeltern. Wir wissen nicht, ob wir einmal selbst etwas hinterlassen werden für die, die uns nachkommen. Wir sind bereit, jeden noch so schlecht bezahlten Job anzunehmen, weil wir uns etwas davon versprechen. Unsere Bereitschaft zu Selbsttäuschung, zur Selbstausbeutung und zum Selbstbetrug scheint keine Grenzen zu kennen.
Auch den Stempel der Politikverweigerer drückt Jeges der Generation Maybe auf die Stirn. Den Grund für das defensive Politikverständnis hat mit der jüngeren Geschichte zu tun, meint Jeges, denn die 1990er Jahre, also jenes Jahrzehnt, in dem die Maybes aufgewachsen sind, wären das glücklichste Jahrzehnt in Westeuropa gewesen, meint Oliver Jeges.
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Die Wirtschaft florierte, mit dem Untergang der Sowjetunion endete urplötzlich der Kalte Krieg, es gab keine Hochrüstung mehr zwischen Washington und dem Kreml, die Berliner Mauer wurde niedergerissen, und die DDR landete auf dem Schuttabladeplatz der Geschichte. Es hieß, alle Länder auf der Welt würden nun zu einer Demokratie werden. Mit Schengen öffneten sich die innereuropäischen Grenzen. Es gab keinen Klimawahn, keine Euro, kein Hartz-IV und keine muslimischen Fanatiker. Das schlimmste Ereignis in den Neunzigern war der Tod von Lady Di.
Wer nicht generalisiert, kommt seltener zu Erkenntnissen, der Blick auf das Ganze macht den Blick klarer, schreibt Oliver Jeges zu Beginn seines Buches. Jeges gelingt es zwar, ein Stimmungsbild seiner Generation zu zeichnen und ihre wunden Punkte anzusprechen, aber ein pessimistischerer und zynischerer Blick auf die eigene Generation wäre wohl kaum mehr möglich gewesen.
Service
Oliver Jeges, "Generation Maybe. Die Signatur einer Epoche", Haffmans Tolkemitt Verlag, Berlin, 2014.