Bibelkommentar zu Lukas 24, 13 - 35

Die „Emmaus-Erzählung“ - wie dieser Textabschnitt genannt wird - ist die ausführlichste Erscheinungsgeschichte im Lukas-Evangelium.

Es geht nicht um eine historisch-faktische Begegnung, sondern Lukas greift ein Motiv auf, das sich in verschiedenen Kulturen findet: Gott kommt in Menschengestalt als Wanderer inkognito unter auf die Erde, gesellt sich zu den Menschen, um sich ihnen zu offenbaren, und entschwindet, sobald sie ihn erkannt haben.

Die beiden Emmaus-Jünger - ob sie männlich oder weiblich sind, wird im Text nicht deutlich - sind in ihrer Trauer unterwegs, so die Erzählung. Sie tun das, was ihnen helfen kann, mit dem Erschrecken über die Ermordung Jesu, mit der Gewalt, der Angst und der Trauer umzugehen: Sie vereinzeln nicht, und sie verstummen nicht. Sie sind zu zweit, sie sind in Bewegung, sie reden miteinander, sie erzählen anderen, auch einem Fremden von dem, was sie beschäftigt. Aber ihr Blick ist eingeschränkt, „blind“ seien sie, sagt der Text. Es dauert, bis sie einen neuen Blick finden, bis sie erkennen können, dass weitergeht, was sie mit Jesus erlebt haben.

Die Emmaus-Erzählung zeigt zugleich das Leben der ersten Christinnen und Christen. Sie waren ja schon mit der Frage konfrontiert: Wie kann man Jesus - nach seinem Tod - begegnen? Wo und wie können Christinnen und Christen dem Auferstandenen begegnen? Wenn er sich zeigt und zugleich immer auch entzieht?

Im Text in Vers 30 heißt es: „Da nahm er das Brot, sprach den Lobpreis, brach das Brot und gab es ihnen.“ Da ist die frühe christliche Gemeinde sichtbar, die dieses Mahl in Erinnerung an Jesus feiert. Und in Vers 32 heißt es: „Brannte uns nicht das Herz …, als er uns den Sinn der Schrift erschloss?“

Die Tora, die hebräische Bibel erzählt, wie Menschen Gott erlebt haben. Nach der Erfahrung der Auferstehung mussten und müssen Christinnen und Christen sich immer wieder neu fragen: Ist es möglich - und wenn ja: Wo, wie ist es möglich, dem auferstandenen Jesus zu begegnen? Die ersten Christinnen und Christen sagten: Ja, es ist möglich, ihm zu begegnen. Und es kann sich ereignen, in der Begegnung mit einer unbekannten Person, die unerwartet dazu kommt, die einfach da ist. Begegnung mit dem auferstandenen Jesus ist tatsächlich Begegnung. Es scheint hilfreich zu sein, sich aufzumachen und gemeinsam unterwegs zu sein. Hilfreich scheint auch zu sein, miteinander zu reden, offen zu sein für andere Menschen, die uns - wie zufällig - begleiten. In den heiligen Texten zu lesen, in der Tora, bzw. in der Bibel, ist hilfreich. Und Brot brechen, teilen, am gemeinsamen Tisch.

Die ersten Christinnen und Christen erinnern aber auch: diese Begegnung mit dem Auferstandenen ist nicht machbar, sie kann nicht erzwungen werden. Sie erinnern daran, dass niemand Anspruch hat auf die Begegnung mit dem Auferstandenen. Niemand kann sagen, Jesus ist hier oder dort, bei uns und nicht bei euch. Die Erzählung von den Emmaus-Jüngern macht deutlich: Begegnung mit Jesus ist auch nach seinem Tod möglich, aber diese Begegnung ist nicht erzwingbar.

Im Lesen und Deuten der Schrift, im Brechen des Brotes feiern Christinnen und Christen die Begegnung mit Jesus seit damals. Dies darf aber - so scheint der Text deutlich zu machen - nicht abgekoppelt sein vom Alltag, von den alltäglichen Wegen, von der Begegnung mit Menschen, ungeplant, unspektakulär. Gott zeigt sich auch nach Jesu Tod als der bzw. die, die da ist. Der Name, mit dem Gott sich im jüdisch-christlichen Glauben zeigt, bleibt JHWH: „Ich werde da sein, als der ich da sein werde“. Ich werde da sein, und ich werde mich entziehen…

Alltag - das heißt auch, sich manchmal alleine zu fühlen, manche Wege alleine gehen zu müssen, den Sinn mancher Erfahrungen nicht zu verstehen. Schon die ersten Christinnen und Christen erlebten, dass es nicht einfach ist, im Alltag die Zusage Gottes nicht zu vergessen: „Ich bin bei euch, ich bin bei dir, ich lasse dich nicht alleine. Ich bin da, als der ich da sein werde.“ Das bleibt eine Herausforderung: Wie können Menschen heute, wie kann vielleicht auch ich selbst diese Erfahrung immer wieder neu machen - die da heißt: „Ich bin bei euch, ich lasse dich nicht alleine. Ich bin da, als der ich da sein werde.“