Reportagen über ein Land im Aufbruch

Brasilien brennt

In etwas mehr als einem Monat beginnt in Brasilien die Fußball-Weltmeisterschaft. Das Land erwartet rund 600.000 ausländische Fans, Sicherheit wird großgeschrieben. Doch "Brasilien brennt" – und zwar nicht nur im Titel des Buches von Adrian Geiges, sondern tatsächlich.

Adrian Geiges ist immer unterwegs. Er war viele Jahre in China und in Russland. Er will das Land, aus dem er berichtet, kennenlernen und das heißt für ihn, er muss dort leben. Anfang 2013 verlässt er das verschneite Deutschland und fliegt nach Brasilien. Leben wird er in Rio de Janeiro. Vorrangiges Problem: er braucht eine Wohnung. Und das ist im Vorfeld der WM gar nicht so einfach.

Schließlich findet Adrian Geiges eine Wohnung, in einer Favela, also einem Armenviertel. In einer jener Favelas, in der die UPP, die Unidade da Polícia Pacificadora, die Befriedungspolizei, das Kommando übernommen hat. Dort können Kinder wieder auf der Straße spielen und müssen nicht befürchten, Opfer von Querschlägern zu werden.

Um das Thema Gewalt geht es im Buch immer wieder: Allein im Jahr 2012 kamen in Brasilien 53.800 Menschen bei Verbrechen ums Leben, die meisten in Kämpfen zwischen verfeindeten Drogengangs. Der Autor begleitet einen Mann, der ein Projekt gestartet hat, das es Kindersoldaten in den Favelas ermöglichen soll, wieder ein normales Leben zu leben, einer normalen Arbeit nachzugehen, auszusteigen aus dem Drogen-Wahnsinn. Einer von ihnen ist Hugo:

Das erste Drittel des Buches bestätigt den Europäer in seiner Meinung über Brasilien. Ein wunderschönes Land mit gravierenden Problemen: Armut, Drogen, Rassismus. Doch dem Autor gelingt eine Gratwanderung: so schlimm die Zustände auch sind, die Brasilianer nehmen das Leben gelassen, für alles und jedes gibt es eine Lösung, und mit einem Lächeln kommt man viel weiter als mit europäischer Verbissenheit.

Schluss mit Lustig ist allerdings beim Thema Fußball. Ja, Brasilien ist fußball-närrisch. Brasilien weint, wenn die Nationalmannschaft verliert und kein Land der Welt feiert den Sieg so wie Brasilien. Die bevorstehende Weltmeisterschaft hat allerdings etwas zum Vorschein gebracht, das es vorher nicht gab: Widerstand. Gegen die FIFA, gegen die Regierung, gegen die explodierenden Kosten. Etwa in Manaus, der nördlichsten WM-Stadt, im Amazonasgebiet.

Adrian Geiges taucht ein in dieses große Land und malt ein ungeschöntes, oft hartes, doch immer faszinierendes Bild. Wer Brasilien kennt, muss oftmals schmunzeln und für den Brasilien-Anfänger streut der Autor fast beiläufig Tipps für den ersten Besuch ein.

Manches Kapitel dieses Buches wirkt fehl am Platz, etwa jenes über das Städtchen Blumenau mit seinem alljährlichen Oktoberfest, jenes über den Papst-Besuch oder jenes über das Treffen mit Glenn Greenwald, der gemeinsam mit Edward Snowden den NSA-Skandal aufdeckte. Da kommt es einem so vor, als hätte der Autor rasch ein paar Reportagen zusammengepackt, um sein Brasilien-Buch noch vor der Weltmeisterschaft herausgeben zu können.

Und auch wenn das letzte Kapitel etwas abrupt und unerwartet auftaucht, ist dort vor allem der Vergleich mit anderen Schwellenländern spannend, den der Autor aufgrund seiner Erfahrungen zieht.

Dieses Brasilien-Buch ist anders als andere. Wohltuend nüchtern und dennoch ganz nah dabei. Es blickt in die Herzen der Menschen und hinter die Kulissen. Adrian Geiges ist gerade zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Service

Adrian Geiges, "Brasilien brennt", Quadrigaverlag / Bastei Lübbe, 2014