WFW: Matthew Barneys "River of Fundament"
Der Amerikaner Matthew Barney ist berühmt geworden mit seinem bizarren Filmzyklus "Cremaster", benannt nach dem Muskel, der den Hoden hebt. Dann hat der Ex-Mann der Sängerin Björk an einer sechsstündigen Kino-Oper gearbeitet, die nach der Europapremiere in München jetzt bei den Wiener Festwochen zu sehen ist.
26. April 2017, 12:23
Morgenjournal, 15.5.2014
Die Musik hat - wie schon bei "Cremaster" - Jonathan Bepler komponiert. Dass der Film polarisiert, hat sich auch in Wien gezeigt: Die Reihen lichteten sich in der zweiten Hälfte.
Die für "River of Fundament" geschaffenen Skulpturen udn Objekte gibt es übrigens derzeit im Münchner "Haus der Kunst" zu sehen. Und der Film läuft bei den Wiener Festwochen noch am 16. und 17. Mai.
Ekelbilder in cineastischer Schönheit
Das Geruchskino ist noch nicht erfunden worden, und das ist in dem Fall gut so: Matthew Barneys "River of Fundament" beginnt in einem unterirdischen Gewässer voller Fäkalien in Nahaufnahme. Während der sechs Kinostunden, unterbrochen durch zwei Pausen, werden dann noch öfter Ausscheidungen, Blut und andere Säfte blubbern, Ungeziefer wurlen, und Ani penetriert. So erzählt, klingt das viel schockierender, als es ist. Matthew Barneys Reich des Ekels in "River of Fundament" hat so klar allegorischen Charakter, dass man die Ekelbilder auf der Leinwand bald nicht mehr ganz wörtlich nimmt. Außerdem sind sie in viel cineastische Schönheit eingebettet.
Allegorischer Charakter
Barneys "River of Fundament" kreist um die Themen Verwandlung und Wiedergeburt. Das hat ihn schon in seinem berühmten "Cremaster"-Zyklus aus den 1990er Jahren beschäftigt. Doch damals waren seine Leinwandgeschöpfe Faune und andere Zwitterwesen in rosigen Farben, meist in leicht klinischen Settings.
Diesmal erlustieren und quälen sich zeitgenössische Versionen der Götter aus dem ägyptischen Totenbuch. Das aber gefiltert durch Norman Mailer und dessen mythologischen Roman "Ancient Evenings", an dem sich Barney entlangarbeitet.
Norman Mailers Leichenschmaus
Die Filmoper spielt zum Teil im akribisch nachgebauten Brooklyner Haus von Norman Mailer - und zwar bei dessen Leichenschmaus. Zu Gast ist New Yorker Kulturprominenz, von Salman Rushdie bis zum Konzeptkünstler Lawrence Weiner.
Während der drei Akte der Oper werden sich Reinkarnationen von Norman Mailer unter die Gesellschaft mischen - offensichtlich unsichtbar für die anderen. Verschmiert und verkrustet, weil sie, um wiedergeboren zu werden, durch den Fluss der Fäkalien schwimmen mussten. Barney fokussiert auf Köper und Köperfunktionen, weil diese extreme physische Unmittelbarkeit für ihn eine wichtige Aufgabe der Kunst ist: als Gegengewicht zu den austauschbaren virtuellen Bildern der Medien.
Musik von Jonathan Bepler
Mit teils ausgefallenen Instrumenten und Geräuscherzeugern trägt die hochdifferenzierte Musik von Jonathan Bepler das ihre bei; auch zum Bilderstrom, weil die Musiker gleichzeitig Darsteller und fast immer sichtbar sind.
Machthybris hinterlässt Industriewüsten
"River of Fundament" fließt langsam, aber meistens nicht fad dahin. Auch, weil das Werk einen satirischen Zug hat, der entfernt an Fellini erinnert. Bei Barney betrifft die Satire aber jene Machthybris, die zum Beispiel Industriewüsten hinterlässt wie in Detroit - was der Film in Großaufnahme zeigt. Auch amerikanische Kultlimousinen werden spektakulär eingeschmolzen und wiedergeboren in dem Film, der wohl auch unsere verrottende Zivilisation meint. Zu diesem Thema ist "River of Fundament" vielleicht kein großes Statement, aber doch eine poetische Geste.
Service
Wiener Festwochen - "River of Fundament"