Charkiv: Hoffen auf Poroschenko

In der Ostukraine, rund um Lugansk und Donezk, konnte wegen der Separatistenbewegung nicht gewählt werden. Im angrenzenden Charkiv, ebenfalls russischsprachiges Gebiet, verliefen die Wahl weitestgehend normal. Nach den schweren Ausschreitungen vor einigen Wochen hat sich die Lage beruhigt. Die Menschen sind froh, dass die Wahlen über die Bühne gehen konnten.

Mittagsjournal, 26.5.2014

Aus Charkiv

Poroschenko auf Augenhöhe mit Putin

Charkiv am Tag nach der Wahl: Die Leute eilen zur Arbeit. Ein typischer Montagmorgen, und doch irgendwie anders: Eine allgemeine Erleichterung ist zu spüren. "Ich bin zufrieden, dass die Wahlen geschlagen sind", sagt eine junge Frau. Ihr Kandidat sei zwar nicht zu Zug gekommen, aber immerhin gebe es einen neuen legitimen Präsidenten. Zufrieden sind auch zwei ältere Männer: Sie haben beide Poroschenko gewählt, damit er Ordnung schaffe im Land und sie die Separatisten loswürden, sagen sie.

Für Irina Ivleva, die in Charkiv einen kleines Business führt, das Familienfeiern und Hochzeiten organisiert, ist Petro Poroshenko der einzige, dem sie zutraut, mit Putin auf Augenhöhe zu reden. "Ich erwarte mir von ihm Verhandlungen mit Russland, EU-Integration, Reformen und vor allem eines: das korrupte System in der Ukraine auszubrechen", sagt sie.

Sieg im ersten Durchgang als wichtiges Signal

Ob der Unternehmer Poroschenko, der ein Vermögen mit Schokolade gemacht hat, da nicht selbst zu sehr Teil des Systems ist? "Niemand, der in der Ukraine Geschäfte macht, ist je um Schmiergelder wirklich herumgekommen", sagt Irina Ivleva. Sie wisse selbst, wovon sie spreche. Doch da Poroschenko das System von innen kenne, wisse er auch, wie man es ändern könne. Und er wisse auch, dass ihm dabei die Leute vom Maidan auf die Finger schauen. Rasch könne dieses System aber nicht umgestellt werden, fügt sie hinzu.

Vorrangig sei derzeit eine Lösung im Konflikt mit den Separatisten zu finden, sagt der Journalisten Filip Dikan, der in Charkiv die renommierte unabhängige Internetzeitung "Mediaprint" leitet. Dass die Wahlen schon im ersten Durchgang entschieden wurden, sei da ein wichtiger Punkt. "Mit einer Stichwahl hätten wir nur weiter unnötig Zeit verloren. Die Lage im Osten des Landes ist ohnehin schon schwierig genug." Man müsse jetzt handeln können – noch Wochen zuzuwarten, würde eine Lösung noch schwieriger machen, sagt Dikan.

Region braucht wirtschaftlichen Aufschwung

Aber nur nach Lugansk und Donezk zu schauen, sei zu wenig. Der Wahlsieg für Poroschenko war landesweit fulminant, aber man dürfe nicht vergessen, dass in der Region Charkiv nur die Hälfte der Menschen zu den Wahlen gegangen sei. "Das heißt nicht, dass diese Nichtwähler alle Kiew kategorisch ablehnen, nein, aber das heißt, dass es ein Menge Misstrauen gegenüber Kiew im Allgemeinen gibt." Poroschenko wäre gut beraten, nicht nur mit den Menschen im Donbass zu reden, wie er angekündigt hat, sagt Dikan.

Poroschenko müsse auch für einen wirtschaftlichen Aufschwung sorgen. "Wenn die Leute den hier in Charkiv spüren", sagt Filip Dikan, "dann haben sie endlich wieder das Gefühl, von Kiev nicht vergessen zu sein."