Schubert und ich

Der italienische Pianist Marino Formenti ist ein Grenzgänger und genau das macht ihn zu einer Ausnahmeerscheinung in der Musiklandschaft. In seinem neuen Projekt, dem Dokumentarfilm "Schubert und ich", versucht Formenti jetzt die Lieder Franz Schuberts zu entstauben und von musikalischen Laien einsingen zu lassen. Regie geführt hat der Schweizer Bruno Moll.

Einerseits hat Marino Formenti mit bedeutenden Orchestern zusammengespielt - den New York Philharmonics etwa oder dem Gustav Mahler Kammerorchester -, andererseits hat er aber auch immer das Experiment gesucht: In einer tagelangen Live-Performance hat er sich unter Dauerbeobachtung gestellt und im "Song Project" hat er Pop-Musik und Ernste Musik aufeinanderprallen lassen. Jetzt ist er Hauptdarsteller in einem Film.

Kulturjournal, 27.05.2014

Franz Schubert gilt als einer der Säulenheiligen der klassischen Musik. Man kennt ihn als sensiblen Lockenkopf mit zarter Drahtbügelbrille, der nur 31 Jahre alt geworden ist. Und viele seiner Lieder, wie etwa "Der Tod und das Mädchen", scheinen das Bild des melancholischen Romantikers noch zu bestätigen. Zeit für eine Imagekorrektur, meint da Marino Formenti.

Fünf musikalische Laien hat Marino Formenti ausgewählt und auf Schubert-Lieder ihrer Wahl losgelassen, darunter einen Studenten, eine bildende Künstlerin und einen Physiker. Bei den Schubert-Uraufführungen sind dem Komponisten auch häufig keine professionellen Sänger zur Verfügung gestanden, erzählt Formenti, außerdem sind zahlreiche Lieder Schuberts von ihren Inhalten her, viel eher für die Straße geeignet als für irgendwelche hehren Konzertsäle.

Bei den Proben ist Marino Formenti - und das macht den Film "Schubert und ich" so spannend - keinen Schmusekurs gefahren. Wenn etwas Neues entstehen soll, braucht es Reibung und Ehrlichkeit war ihm deshalb wichtiger als falsches Lob. Damit war der Dreh für beide Seiten eine große Herausforderung. Und so kam es dann, dass sich die einzige Frau der Gruppe alleine zurückgezogen hat an den liebsten Ort von Sängern und Sängerinnen, nämlich in die eigene Badewanne.

Ein halbes Jahr lang hat Formenti mit seiner Sängerin und seinen vier Sängern geprobt und gerade der Zeitfaktor war ihm wichtig, weil der im modernen Musikbetrieb eine immer geringere Rolle spielt. Wenn Formenti spielt, mit einem tragbaren E-Piano, das er in die Wohnungen seiner Sänger schleppt, dann versinkt er in der Musik und das wirkt sichtbar ansteckend. Als "hypnotisch und schamanisch" wurde sein Spiel von den Medien schon beschrieben und er selbst einmal als "Glenn Gould für das 21. Jahrhundert" bezeichnet. Was er mit Gould teilt, ist sein Gespür für Pausen und das wiederum ist etwas, auf das auch Schubert großen Wert gelegt hat.

Einen weiteren Grund gebe es übrigens noch, meint Marino Formenti am Ende unseres Gesprächs, warum er Schubert ausgewählt habe, und den sollte man auf keinen Fall außer Acht lassen: Seine Musik sei nämlich aus ihrer Entstehungsgeschichte heraus, ungeheuer zeitgemäß. Ein bisschen fürchtet man sich vor dem Ende von "Schubert und ich". Man kennt die Projekte ja zur Genüge, in denen Laien am Ende auf der Bühne stehen und sich von einem mitleidigen Publikum feiern lassen. Marino Formenti und sein Regisseur Bruno Moll haben dieses falsche Happy-End umschifft. Bei ihnen entscheidet nämlich jeder Sänger für sich, wie weit er zu gehen und zu geben bereit ist.