"Im Journal zu Gast": Conchita Wurst
„Ich frage mich, warum die Gleichberechtigung noch nicht stattgefunden hat und was denn da so lange dauern kann“. Das sagt die Song-Contest-Siegerin Conchita Wurst zur rechtlichen Gleichstellung von homosexuellen Menschen in Österreich.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 31.5.2014
Song-Contest-Gewinnerin Conchita Wurst "Im Journal zu Gast" bei Judith Hoffmann
Am Tag des Life Balls spricht die Drag Queen außerdem über die Gefahr parteipolitischer Instrumentalisierung, den politischen Rechtsruck in Europa, über echte und gespielte Toleranz und über das Privileg, als Privatperson Tom Neuwirth ohne Perücke und Gala Robe unerkannt im Hintergrund zu bleiben.
(c) ORF/FLORIAN WAITZBAUER
Zum Interview erscheine nicht Tom Neuwirth, sondern Conchita Wurst wird gleich zu Beginn klargestellt, denn zur Privatperson habe sie eine große Distanz geschaffen. Sie genieße es "über die Maßen", in die U-Bahn zu steigen, ohne dass sie jemand erkenne.
Über die unbegrenzte, plötzliche Freiheit zeigt sich Conchita Wurst überrascht. Drei Wochen nach dem Song Contest stünden ihr alle Türen offen und sie sei motiviert "ohne Ende" und habe sich ein Leben, wie es nun ist, immer gewünscht.
Die Anfeindungen und Drohungen, die sich unter den zigtausenden Beifallsbekundungen auf Facebook auch finden, berühren Conchita Wurst nicht: "Ich könnte nicht funktionieren, wenn ich Angst hätte. Diese Negativität bringt mich nicht weiter und deswegen berührt sie mich nicht." Aber löschen möchte sie die Kommentare nicht, damit eine Diskussion entstehe.
"Einzig und allein der Mensch zählt"
Von außen betrachtet wirkt Österreich sehr tolerant, auch aufgrund von Veranstaltungen wie dem Life Ball. Wie sieht es Conchita Wurst? "Wenn Menschen jetzt dazu gezwungen sind, nach außen tolerant zu sein und es vielleicht gar nicht so meinen, ist es für mich zwar noch nicht das beste Endergebnis, aber schon ein großer Schritt in die richtige Richtung." Ohne Sieg gäbe es nicht so viele Schulterklopfer, was Conchita aber auch nichts mache.
Quasi eine Europa-Wahl
"Europa hat quasi vor drei Wochen schon einmal gewählt in einer sehr toleranten Weise. Europa und Österreich haben ein Statement gesetzt, aber eines reicht nicht." Zwar wäre es schön, wenn ein Sieg für eine Zukunft ohne Hass und Diskriminierung reichen würde, aber dem sei so nicht. Daher müsse man immer darüber sprechen.
"Wer glücklich ist, ist unantastbar"
Die im steirischen Bad Mitterndorf aufgewachsene Conchita sei als Teenager nur verbalen Anfeindungen ausgesetzt gewesen. Aber es gäbe auch andere junge Menschen, die sich das Leben genommen hätten. Deswegen möchte Conchita auch nicht jammern, aber es war nicht leicht: "Ich wollte nichts sehnlicher als dazuzugehören. Ich habe mich verstellt und in jegliche Richtung angepasst, bis ich gemerkt habe, dass mein Leben nur dann großartig sein kann, wenn ich mich selbst akzeptiere. Das ist unabhängig von der Sexualität oder religiösen Einstellung: Man muss sich selbst lieben, nur dann kann man glücklich sein und ist unantastbar."
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Wurst-Trittbrett-Fahrerei
Politisch instrumentalisiert fühle sich Conchita Wurst nach dem Song Contest nicht. Über den Empfang beim Bundeskanzler habe sie sich sehr gefreut. Es habe gezeigt, dass die Musik in Österreich sehr ernstgenommen wird. Auf den Schranz-Balkon gehen wollte Conchita aber nicht, denn dort sollten "wichtigere Menschen stehen". Parteipolitisch engagieren möchte sie sich nicht und auf die Frage nach ihren Forderungen an die österreichische Bundesregierung, an das EU-Parlament: Sie könne nicht verstehen, warum die absolute Gleichstellung noch nicht stattgefunden hat.