Tosender Applaus für Kentridges "Winterreise"

Die Wiener Festwochen starten in ihre letzte Woche - ein Höhepunkt war am 9. Juni Schuberts "Winterreise" mit 24 Animationsfilmen des südafrikanischen Künstlers William Kentridge und Festwochenchef Markus Hinterhäuser als Pianist. Gesungen hat der deutsche Bariton Matthias Goerne. Die Erwartungshaltung war hoch, eine Zusatzvorstellung musste schon vor Beginn der Festwochen eingeschoben werden.

Morgenjournal, 10.6.2014

Filme beschreiben Wanderung

Tosender Applaus nach einem hochkonzentrierten Abend. Und eine Belohnung für alle, für die der sommerliche Tag bei der Winterreise im Museumsquartier ausgeklungen ist. Denn auch wenn man sie schon oft gehört hat, so gesehen hat man sie noch nie.

William Kentridges Filme – eine Kombination aus traditioneller Tuschezeichnung und neuen Medien, illustrieren den Text nicht, sondern beschreiben ganz assoziativ, wie auch Musik und Text, die Wanderung eines Menschen durch sein eigenes auch inneres Leben. Vom "Fremd bin ich eingezogen" bis hin zum Tod, dem der Wanderer am Ende im "Leiermann" begegnet.

"Eine Ausgeburt der brutalisierten Gesellschaft"

Die kaleidoskopartigen Filme, die im Laufe des Abends einen immer stärkeren Sog entwickeln werden auf eine mit Zeitungspapier beklebte Wand projiziert. Da schreiten Schattenfiguren im Tempo der Musik über weite Landschaften, entstehen und vergehen Linien oder formieren sich schwarze Konfetti zum Bildnis einer Frau.

Es ist Kentridges eigene Winterreise, auf die er die Zuschauer mitnimmt – die ganz private Geschichte einer Mann-Frau-Beziehung und die Reflexion der lange gespaltenen Nation Südafrika. "Meine Arbeit ist eine Ausgeburt der brutalisierten Gesellschaft, die die Apartheid hinterlassen hat", hat Kentridge einmal gesagt und das passt auf wundersame Weise auch mit Schuberts "Lindenbaum" zusammen, an dessen rauschenden Zweigen gleich ein paar Gehängte baumeln. Auf einer Straßenwalze klebt Blut, der Berg wird zur Abraumhalde, der Fluss zum Gully und die Krähe ist ein afrikanischer Ibis. Das alles kann man sehen, muss man aber nicht.

Akustisch eindringlich und hochemotional

Kentridge hat die 24 Filme nicht extra für die Winterreise gestaltet – das hätte einen Zeitaufwand von 20 Jahren bedeutet, sondern aus altem Filmmaterial eine Quintessenz zusammengewebt, wie "Sleeping on Glass", "Other Faces" oder "The Refusal of Time" und diese für die "Winterreise" überarbeitet.

Viel Applaus gab es auch für Markus Hinterhäuser am Klavier und den Sänger Matthias Goerne, die zwar optisch nur im Augenwinkel wahrnehmbar aber akustisch eindringlich und hochemotional waren.

Die Tatsache, dass ein Zuschauer Zugabe verlangt hat, spricht für sich. Eine Zugabe wird es in anderen Städten geben, denn nach den Festwochen zieht die Produktion weiter nach Amsterdam, Aix-en-Provence, Paris oder New York und wird vielleicht auch noch in einigen Jahren, wenn Markus Hinterhäuser Intendant der Salzburger Festspiele ist, dort gezeigt. Jetzt ist er zuallererst Festwochenintendant und Künstler, der sich mit der gestrigen Produktion gleich doppelt auf die Schulter klopfen darf.

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Wiener Festwochen - Winterreise