Ziemlich feste Freunde

Die Bedeutung des Begriffs "Freundschaft" hat sich in den letzten Jahrhunderten immer wieder gewandelt. Das 18. Jahrhundert zum Beispiel gilt als "Zeitalter der Freundschaft". Schiller, Goethe, Hölderlin - um nur die Allerbekanntesten zu nennen - schrieben flammende Loblieder auf sie.

Dass just zu dieser Zeit die Freundschaft so innig besungen wurde, hat mit den Umbrüchen dieser Zeit zu tun. Die starre Ständeordnung befand sich in Auflösung. Die Menschen mussten sich ihren Platz in der Gesellschaft selbst suchen. Das führte nicht nur zu neuen Freiheiten, sondern auch zu einem bis dahin wenig bekanntem Phänomen: zur Einsamkeit, schreibt Susanne Lang.

Als Antwort auf die neue Freiheit, die wie jede Freiheit auch eine neue Unsicherheit nach sich zog, boomten im 18. Jahrhundert die Vereine.

Von der virtuellen in die reale Welt

Etwas Ähnliches erlebten wir gerade in der digitalen Welt, meint Susanne Lang. Noch nie zuvor in der Geschichte konnten sich Menschen unabhängig von geografischen Grenzen dermaßen vernetzen wie heute. Jedoch bringt diese Globalisierung eine Sehnsucht nach dem Überschaubaren, dem Bekannten und dem Greifbaren mit sich. Und so entstehen neue Cliquen, die den alten mitunter zum Verwechseln ähnlich sehen.

Das Internet führte neben der grenzüberschreitenden Vernetzung auch zur Inflation des Begriffes "Freund". Ein Freund, das war früher jemand ganz Spezieller. Um glücklich zu sein, brauche der Mensch an verlässlichen Freunden "nur etwa drei in der Welt", schrieb Freiherr von Knigge anno 1788. Noch rigoroser sah das im 16. Jahrhundert Michel de Montaigne. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer echten, tiefen Freundschaft käme, hielt er für äußerst gering. "Es ist folglich bereits viel, wenn dem Schicksal das alle drei Jahrhunderte erfolgreich gelingt".

Freunde vs. friends

Und heute? Heute hat jeder Hunderte Freunde - verstreut über die ganze Welt; Freunde, mit denen wir uns am liebsten über Banalitäten austauschen. Aber wahrscheinlich sitzen wir hier nur einem grammatikalischen Trugschluss auf. Das, was auf Facebook "friend" heißt, hat mit dem historischen Freund nichts gemein. Eher mit all jenen Leuten, die man früher am Marktplatz oder bei der Bassena traf und mit denen man darüber tratschte, wie es der Mitzi-Tant gehe und dem oder der man die süßen Bilder vom Enkerl zeigte. Dass man zu solch flüchtigen Bekannten heute "Freund" sagt, ist also eher dem Marketinggenie von Facebook geschuldet, als dem Wandel des Begriffes.

Dass bis dato immer von "Freund" und nicht auch von "Freundin" die Rede war, ist kein Zufall. Denn über Jahrhunderte hinweg war die Freundschaft ein Privileg der Männer.

Vertrauter durch Dick und Dünn

Ähnlich wie das Ideal der Liebe, passt sich auch die Freundschaft den gesellschaftlichen Gegebenheiten an. Früher, als die Menschen ihren Heimatort kaum verließen, träumte man von dem einen Freund, dem man alles anvertrauen kann und mit dem man über Jahrzehnte hinweg durch Dick und Dünn geht. Heute kann es solch eine Freundschaft kaum mehr geben. Die Menschen sind mobil, arbeiten einmal hier, verlieben sich dort. Freundschaften müssen schnell geschlossen werden, weil man das Gegenüber in drei, vier Monaten bereits nicht mehr sehen wird.

Susanne Lang versucht in ihrem Buch das Thema Freundschaft umfassend zu beleuchten. Historische Abhandlungen und philosophische Positionen vermischt sie mit eigenen Betrachtungen. Leider aber widmet sie Letzteren allzu viel Platz. Wenn sie eine halbe Seite über Montaigne oder den Freiherrn von Knigge räsoniert, folgt auch schon ein Zitat aus einem Film oder einem Pop-Song. Und wir erfahren, wie sich Maike und Heike getroffen haben und dass die Autorin nicht nach Hamburg umziehen mag, weil sie in Berlin so viele Freunde hat. Es scheint, als wäre Susanne Lang penibel drauf bedacht gewesen, dem Buch nur ja nicht allzu viel Tiefgang zu verleihen. Als "erste Kulturgeschichte der Freundschaft" preist der Verlag diesen Text, und das ist ein gar arger Etikettenschwindel, denn mit einer Kulturgeschichte hat dieses lockere Geplauder, das oft ins Banale abgleitet, so wenig gemein wie ein Facebook-Freund mit einem echten.

Service

Susanne Lang, "Ziemlich feste Freunde", Blanvalet Verlag