Das organische Bauen des Friedrich Kiesler

Der österreichisch-amerikanische Architekt, Bühnenbildner und Künstler Friedrich Kiesler war ab 1926 in New York Brückenschläger und Bindeglied zwischen der jungen amerikanischen Kunstszene und der europäischen Avantgarde. Die Friedrich-und-Lillian-Kiesler-Privatstiftung in Wien präsentiert in ihrer aktuellen Ausstellung bisher unbekannte Pläne und Entwürfe Kieslers.

In New York entwickelte Kiesler seine ganzheitliche Theorie des "Correalismus", in der es darum ging, Mensch und Umwelt als Ganzheit zu betrachten und Möbel, Einrichtungs- und Gebrauchsgegenstände entsprechend auf die menschliche Physiognomie und Verhaltensweise abzustimmen.

Die Friedrich-und-Lillian-Kiesler-Privatstiftung in Wien präsentiert in ihrer aktuellen Ausstellung bisher unbekannte Pläne und Entwürfe Kieslers, die durch Zufall im Archiv entdeckt wurden und die zeigen, wie seine visionären Ideen auch in praktische Aufträge zu Wohnbauten einflossen.

Kulturjournal, 18.06.2014

Auch wenn sie nie über den Modellstatus hinausgingen: Friedrich Kieslers "Endless-House"-Projekte sind ebenso wie seine architekturtheoretischen Arbeiten bis heute wegweisend für die Architektur, sagt Gerd Zillner, Archivar der Kiesler Privatstiftung. Kiesler selbst konnte nur ein Bauprojekt tatsächlich realisieren, den sogenannten "Schrein des Buches" in Jerusalem, ein Gebäude mit markantem zeltartigen Dach, in dem antike Schriftrollen des Alten Testaments aufbewahrt werden.

Fundstücke aus dem Archiv

Soweit der Stand der Forschung, bis kürzlich im Archiv der Kiesler-Stiftung neue Dokumente auftauchten. Es sind Projekte, die bisher gar nicht oder nur mangelhaft dokumentiert wurden, sagt Gerd Zillner. Falsch geschriebene Namen, falsch zugeordnete Bauherren und fehlende Dokumente machten eine Einordnung unmöglich. Diese Ungereimtheiten konnten dank der gefundenen Skizzen, Briefe und Dokumente aufgeklärt werden. Und zum Bild des Visionärs gesellt sich ein neues, das eines sachbezogenen Architekten, "der pragmatisch um die Umsetzung seiner Pläne ringt", so Zillner.

Korrektur und Adaptation

"Unbekannt und ungeplant, Fragezeichen?" ist der Titel der zweiteilig angelegten Schau. Aktuell werden die Pläne und Korrespondenzen zu Bauprojekten gezeigt, an denen Kiesler in den 50er Jahren nicht als Urheber, sondern als Korrektor beteiligt war, etwa das New Yorker "Stifel-Building", ein Bürogebäude in der 55. Straße. Kieslers Entwurf: eine parabolförmige blaue Glasfassade, durch die das Gebäude Schwung und Eleganz erlangen sollte.

Auch bei einem Wohnprojekt für ehemalige Obdachlose wurde Kiesler 1956 konsultiert. Er sollte die bestehenden Pläne adaptieren und seine progressiven Bauideen einbringen. Drei Wohnhausanlagen von 200 Metern Länge, die Platz für mehr als 2.000 Apartments boten und von Kiesler als "too unpleasant" bezeichnet wurden. Er versah sie mit Grünflächen, Farbsegmenten und Abschrägungen an den Seiten und plante außerdem drei Gartenterrassen, die für alle Mieter zugänglich sein sollten.

Einblicke und Überraschungen

Insgesamt fünf Bauprojekte Kieslers lassen sich durch die neu entdeckten Dokumente rekonstruieren. Noch bis 6. September zeigt die aktuelle Ausstellung bei freiem Eintritt drei von ihnen. Ein zweiter Teil der Schau ist für 2016 geplant. Wer Kieslers Arbeiten kenne, sei von den neuen Entwürfen jedenfalls "überrascht", so Gerd Zillner.