Frankreich: 90 Prozent für aktive Sterbehilfe

Darf man todkranken Patienten aktive Sterbehilfe leisten? Diese Frage wird in Frankreich derzeit heftig diskutiert. Auslöser dafür sind zwei aktuelle Fälle: In einem geht es um die Frage, ob die künstliche Ernährung eines Querschnittsgelähmten eingestellt werden darf; im anderen um einen Arzt, der den Leben sieben seiner todkranken Patienten mit Medikamenten ein Ende gesetzt hat. Er wurde am Mittwoch freigesprochen, eine überwältigende Mehrheit der Franzosen heißt das gut.

Mittagsjournal, 26.6.2014

Aus Paris

Der Anwalt und sein freigesprochener Klient, Dr. Nicolas Bonnemaison

Der Rechtsanwalt Ducos-Ader und sein Klient, der freigesprochene Arzt Nicolas Bonnemaison.

(c) EPA/LAISSAC LUKE/PHOTOPQR/SUD OUEST

Anwalt: Politik muss reagieren

Eine lebenslange Haftstrafe hatte dem Notfallmediziner Nicolas Bonnemaison gedroht. Die Anklage lautete auf "Vergiftung besonders verletzlicher Personen". Zwischen 2010 und 2011 hatte Bonnemaison im Krankenhaus der südfranzösischen Stadt Bayonne fünf unheilbar kranken alten Männern und zwei Frauen tödliche Medikamente verabreicht, ohne Absprache mit den anderen Ärzten. Als gestern im Gerichtssaal sein Freispruch bekanntgegeben wurde, applaudierten die Anwesenden. Unter ihnen sind auch viele Angehörige der ehemaligen Patienten des Arztes, wie Ginette Beloque: "Bonnemaison hat den Patienten geholfen zu sterben, er hat ihren Wunsch respektiert", sagt sie. "Dieses Urteil muss von den Politiker gehört werden", meint Bonnemaisons Anwalt nach dem Urteilsspruch. "Wenn sich nichts ändertm, führt das weiter zu menschlichen Dramen."

Derzeit regelt das Gesetz Leonetti aus dem Jahr 2005 die Sterbehilfe in Frankreich: Aktive Sterbehilfe ist demnach verboten. Passive ist nur dann legal, wenn eine Verfügung des Patienten vorliegt. Bei Kranken, die künstlich beatmet und ernährt werden, darf die Behandlung dann auch nur beendet werden, wenn die Entscheidung mit einem zweiten Arzt getroffen wird. Das derzeitige Gesetz sei nicht ausreichend, kritisiert Jean Luc Romero, von der Organisation für ein Sterben in Würde. "Die Behandlung zu beenden bedeutet, die Patienten verhungern und verdursten zu lassen, das ist keine menschliche Lösung, viele Ärzte haben damit Schwierigkeiten."

UMP sieht keinen Handlungsbedarf

Deswegen fordern Abgeordnete wie etwa Veronique Massoneau von den französischen Grünen ein Gesetz, das die aktive Sterbehilfe legalisiert, ähnlich wie in Belgien. "Ich komme aus Belgien. Allein, dass es dort die Möglichkeit zur aktiven Sterbehilfe gibt beruhigt die Menschen." Der Patient müsse die Entscheidung selbst treffen können, sagt Massoneau, diese Möglichkeit sollte es geben.

Auf Seiten der konservativen UMP sieht man das anders: "Das Gesetz Leonetti ist nicht bekannt genug, die Sterbepflege auch nicht", heißt es von der UMP. Es gebe im Moment keinen Grund, das Gesetz zu ändern, und gegen die aktive Sterbehilfe sei man ganz entschieden.

Umfrage: 90 Prozent für aktive Sterbehilfe

Ein Großteil der französischen Bevölkerung ist anderer Meinung: Laut einer Umfrage, die heute veröffentlicht worden ist, sprechen sich fast 90 Prozent der Franzosen für die Legalisieren der aktiven Sterbehilfe aus, bei den über 65-Jährigen sind sogar 98 Prozent dafür.

Eine Debatte, die ein neues Gesetz zum Verbot der aktiven Sterbehilfe in Frankreich heftig ins Wanken bringt. Bis Jahresende hätte es beschlossen werden sollen. Jetzt soll der Gesetzestext überarbeitet werden, um ganz genau abzustecken, wie und unter welchen Umständen Medikamente zur Linderung des Leids am Lebensende eingesetzt werden dürfen.

Übersicht

  • Ethik