Abhöraffäre zum Nutzen für Polens Premier Tusk?

Die polnische Politik wird seit zwei Wochen von einer Abhöraffäre erschüttert. Die Zeitschrift "Wprost" hatte Mitschnitte von Gesprächen veröffentlicht, die hohe Politiker in privatem Rahmen in einem Nobelrestaurant geführt hatten. Inhalt: politische Intrigen. Am Mittwoch musste sich Premier Donald Tusk im Parlament deshalb einem Misstrauensvotum stellen. Langfristig könnte die Affäre der Regierung aber nutzen, meint der deutsch-polnische Politikwissenschaftler Klaus Bachmann.

Mittagsjournal, 27.6.2014

Keine große Brisanz

So klingt der Stoff aus dem Skandale gemacht werden. Hohe Politiker zu später Stunde in einem Warschauer Nobelrestaurant, deftige vulgäre Worte, politische Intrigen, der als amerikafreundlich geltende Außenminister Sikorski bezeichnet das Bündnis mit den USA als "Bullshit". Als die Zeitschrift "Wprost" die ersten Mitschnitte veröffentlichte, ließ die Staatsanwaltschaft die Redaktionsräume durchsuchen und Material beschlagnahmen - ein Aufschrei ging durch die Öffentlichkeit, die Pressefreiheit sei in Gefahr. Doch jetzt, eine Woche später, stellt sich die Affäre schon wieder anderes dar, meint Klaus Bachmann, Politikwissenschaftler an der Universität für Sozialpsychologie in Warschau. Bis auf die Tatsache, dass der Rücktritt eines Ministers offenbar auf Wunsch des Nationalbankchefs erfolgte, hätten die veröffentlichten Gespräche wenig Substanz. Zwar stelle das Material den Politikern kein gutes Zeugnis aus, mache aber keine staatsanwaltlichen Ermittlungen nötig.

Letztlich Vorteil für Tusk?

Aufgezeichnet wurden die Gespräche offenbar von zwei Kellnern. Mark Falenta, einer der reichsten Unternehmer Polens dürften sie dann an die Zeitschrift "Wprost" weitergeleitet haben, so der aktuelle Stand der Ermittlungen. Die Staatsanwaltschaft hat bereits eine Reihe von Verhaftungen angeordnet. Falenta, der Kohle aus Russland importiert, wollte sich demnach an der Regierung für Behinderung seiner Geschäfte rächen. Auch dass der Chefredakteur von "Wprost", Latkowski, längere Zeit in Russland gelebt hat, sorgt in der Öffentlichkeit für Misstrauen. Die Sorge um die Pressefreiheit rückt immer mehr in den Hintergrund. Denn, so Bachmann, es entstehe immer stärker der Eindruck, dass sich Journalisten von Kriminellen instrumentalisieren ließen, die die Regierung stürzen wollten. "Und dahinter steht dann noch dieser russische Background. Und der Chefredakteur, der zunächst ein Held der Pressefreiheit war, der steht jetzt da wie ein nützlicher Idiot von Putin."

Politikwissenschaftler Klaus Bachmann schließt nicht aus, dass noch weitere brisante Tonbänder ans Licht kommen. Im Moment sei es der Regierung aber gelungen, die Abhöraffäre als eine Intrige des russischen Geheimdienstes darzustellen, um Polen in schwierigen politischen Zeiten zu destabilisieren. Wenn es ihr gelingt, dieses Bild aufrechtzuerhalten, werde ihr die Affäre nicht nur nicht schaden, sondern Premier Tusk könnte daraus sogar als politischer Gewinner aussteigen.

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