Die ganze Wahrheit

Entenhausen

Gut Ding braucht Weile. Zum Leidwesen der Donald-Duck-Fangemeinde verschob Patrick Bahners über Jahre immer wieder den Erscheinungstermin seines Buches "Entenhausen. Die ganze Wahrheit". Gab es doch noch so viel zu erforschen, so viel herauszufinden.

Patrick Bahners ist Kulturkorrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" in New York. Und außerdem ist er ein führender Donaldist, also ein Vertreter des sogenannten Donaldismus. Eigentlich, so der Autor, müsste es richtigerweise Donaldistik heißen, so wie Romanistik, Germanistik oder Anglistik. Patrick Bahners erklärt, womit die Donaldistik sich befasst:

"Entenhausen ist eine tatsächliche Zivilisaton, die mit mitteln der positiven Wissenschaft Archäologie auch naturwissenschaftlich erforscht werden kann."

Die Quellen der Duck-Forschung sind die Comics des US-amerikanischen Zeichners Carl Barks in der deutschen Übersetzung von Erika Fuchs.

Anspruchsvolles Erzählen

Patrick Bahners war schon von Kindesbeinen an ein Duck-Fan. Seine Eltern hatten gar nichts gegen diese Lektüre. Da hatte er mehr Glück als einige seiner Cousins und Cousinen. Deren Eltern hielten die Duck-Geschichten für Schund. Auch seine späteren Lehrer waren dieser Meinung.

"Wenn man's rein formal betrachtet, stellt man sofort fest, also nach Mitteln der Literaturwissenschaft ist das Comic erzählen ein besonders anspruchsvolles Erzählen, weil man gleichzeitig Bilder und Text berücksichtigen muss. Ich erinnere mich, dass meine mutter sagte, sie habe keinen Spaß dran, ihr sei das zu hoch, sie komme damit nicht zurecht, wie man die Sprechblasen den Figuren zuzuordnen habe."

Wo liegt Entenhausen eigentlich?

Leidenschaftliche Fangemeinden gibt es auch für andere Comic-Figuren: etwa für Superman, Mickey Maus oder Asterix. Doch eine Supermanistik oder einen Asterixmus gibt es dennoch nicht. Das liege daran, meint Patrick Bahners, dass der Zeichner Carl Barks so viel Realitätseffekt in seine Comics packte, dass man sich in Welt der Ducks in Entenhausen auf besondere Weise hineingezogen fühlt. Und diese Welt will beschrieben und erforscht sein. Ein wichtiger Punkt sei: Wo liegt Entenhausen eigentlich?

"Entenhausen liegt an der Küste, das ist nicht schwer festzustellen, und liegt auch in Amerika. Es gibt eine Geschichte, wo Entenhausen droht, einer Diktatur anheimzufallen, weil ein norweger plötzlich in Entenhausen auftritt und erklärt, ihm gehöre ganz Amerika, weil sein Vorfahre, Olaf der Blaue habe Amerika lange vor Kolumbus entdeckt und nach dem kaiserlichen Gesetz der Karolinger sei herrenloses Land das Eigentum des Entdeckers", so Bahners.

Aus den englischsprachigen Barks-Comics kann man schließen, dass Entenhausen an der Westküste liegt, und zwar nicht weit von den Disney-Studios. Das habe Barks wahrscheinlich als Hommage an seine ehemaligen Kollegen gedacht, glaubt der Autor. Der Zeichner hatte früher nämlich bei Disney gearbeitet. Doch in der deutschen Übersetzung von Erika Fuchs liegt Entenhausen anderswo.

"Da bin ich auf eine Entfernungsangabe gestoßen zwischen Entenhausen und Timbuktu, und mit Zirkel und Kreis, dann schneidet der Kreis die amerikanische Küste, aber es ist die Ostküste und Entenhausen muss dort liegen, wo Boston liegt."

Parallele Geschichte

Die Quellenlage zu Entenhause sei fast vergleichbar mit Altertumsforschung, meint Patrick Bahners. Sie ist spärlich. Ort, Zeit, Gesellschaft, Geschichte oder Justizwesen von Entenhausen muss man aus nur 6.000 Comic-Seiten herausfiltern. Zeitliche Anhaltspunkte gebe es Gott sei Dank reichlich, erklärt der Autor. Dennoch stellten diese die Donaldisten lange Zeit vor gewichtige Probleme.

"Einen parallelen Verlauf der Entenhausener und unserer Geschichte kann man annehmen", sagt kann man annehmen, es sei aber eine Hypothese. Eine Theorie von Ernst Horst aus dem Jahr 1982 besage jedoch, Entenhausen liege in der Zukunft. Nach einer großen Atomkatastrophe komme es zu Mutationen "und es werden sich aus Menschen diese intelligenten Enten entwickeln, und es wird aber auch zu einer Neugründung der Zivilisation kommen."

Irgendwie sei nach der Katastrophe ein kulturelles Gedächtnis erhalten geblieben, sodass die Entenhausener die Geschichte nochmals durchlaufen. Daher die Parallelverläufe zwischen ihrer und unserer Welt.

Dass Entenhausen in einer fernen Zukunft nach dem Atomknall liegt, dürfte also die derzeit vorherrschende Lehrmeinung sein. Indizen dafür finden sich auch in einer bestimmten Eigenschaft der Bürger von Entenhausen. Und diese ist, "dass die Entenhausener höchst unempfindlich sind gegen Radioaktivität und dass wir starke Strahlung in der Umwelt feststellen", so Bahners. "Z. B. ist es so, dass Donald Duck bei einem Campingurlaub seinen Neffen kleine Uranknöpfe an deren Mützen befestigt und falls sie sich verlaufen, wird er sie mit dem Geigerzähler wieder finden. Sorge, dass dieses Uran den armen kleinen Gehirnen der Neffen schadet, muss er nicht haben."

Zweiparteiensystem

In ihrer Struktur und im Wertesystem sei Entenhausen eine typisch amerikanische Kleinstadt. Philanthropie hat dort beispielsweise, wie überall in den USA, einen hohen Stellenwert. Eines ist sicher: Entenhausen ist eine Demokratie. Doch über die genauere politische Struktur gibt es noch viel zu erforschen. Patrick Bahners war früher der Meinung, dass es sich um ein schlichtes Zweiparteiensystem handle. In seiner Jugend habe er in einem Aufsatz schon festgestellt, dass der Bürgermeister von Entenhausen in der Hälfte der Geschichten ein Schwein sei, in den anderen aber "der Gattung der hundeähnlichen Wesen angehört, mit schwarzen Knubbelnase". Daraus postulierte er, dass in Entenhausen ein Zweiparteiensystem bestehe, wobei eines der Wesen für die Bessergestellten da sei und der andere für die einfachen Arbeiter.

Zu diesem Schluss kam Patrick Bahners mit einer Methode, die ihm aus heutiger Sicht geradezu verwerflich simpel erscheint: Er sortierte die Comics je nach Bürgermeister auf zwei Stöße. Hier Schwein - dort Hund. Doch die Welt von Entenhausen ist komplizierter. Und will man wirklich mehr von der politischen Struktur verstehen, müsse man sich auf die lokalen Vereine einlassen. Etwa darauf: Wer streitet mit wem im Entenhausener Elternverein? Die Welt der Ducks ist noch lange nicht ausgelotet.

Service

Patrick Bahners, "Entenhausen. Die ganze Wahrheit", C. H. Beck