Sechzig Reisen durch die Zeit

Geschichte unserer Umwelt

Was haben die Verlegung der ersten Unterseekabel quer durch die Ozeane, die Erdgasfelder in Aserbaidschan und die Steingärten der Osterinseln gemeinsam? Sie alle sind Beispiele, an denen deutlich wird, womit sich die Umweltgeschichte beschäftigt. Die Umwelthistorikerin Verena Winiwarter hat gemeinsam mit ihrem Co-Autor, dem Kieler Ökosystemforscher Hans-Rudolf Bork, insgesamt sechzig Zeitreisen zusammengestellt.

Doch keine Touristenattraktion

Da ist zum Beispiel die Geschichte von Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans. Baku ist mit zwei Millionen Einwohnern heute die bevölkerungsreichste Stadt des Kaukasus. Die Öl- und Erdgasfelder in seiner Umgebung machen die Stadt zum attraktiven Ziel für Investoren und Firmen aus aller Welt. Vor rund 200 Jahren haben in Baku gerade einmal 4.000 Menschen gelebt. Das Auffallendste an der Stadt war ein vermutlich hinduistischer Feuertempel, aus dem eine immerwährende Flamme aufstieg. Die Flamme speiste sich aus einem Erdgasfeld. Wenn sich diese nie verlöschende Flamme als Touristenattraktion erwiesen hätte, wäre Baku heute eine Stadt mit vielen Hotels, Souvenirshops etc., so Winiwarters Vorstellung. Es kam aber anders.

Aus der Erfahrung nichts gelernt

Die Geschichte von der Verlegung der ersten transatlantischen Kabel nach der Erfindung der Kommunikation durch Morsezeichen erzählt die Ausbeutung einer anderen natürlichen Ressource. Einerseits erforderte sie einen enormen Aufwand über Wasser. Große, leistungsstarke Dampfschiffe waren nötig, um die Tausenden Kilometer Kabel durch den Ozean zu verlegen. Die Kabel selbst hatten tief im salzigen Wasser besonderen Bedingungen standzuhalten. Als einziges taugliches Isoliermittel erwies sich Guttapercha, eine Art Gummi, das aus dem Harz eines Tropenbaumes gewonnen wurde.

Bis Anfang des 20. Jahrhunderts waren 370.000 Kilometer Telegrafie-Kabel in den Weltmeeren verlegt, überzogen und isoliert mit mindestens 27.000 Tonnen Guttapercha. Gewonnen hatten die Guttapercha Arbeiter unter widrigen und teils lebensgefährlichen Umständen und mit Methoden, die die Bäume nicht überlebten. So waren die Bäume, die Guttapercha lieferten, weltweit schon auf ein Minimum reduziert, als man in den 1920er und 30er Jahren begann, Kunststoffe für die Kabelisolierung zu verwenden.

Die Geschichte der globalen Bedeutung der Guttapercha-Ausbeutung ist damit zu Ende erzählt. Aber sie erinnert frappant an die Gegenwart, in der Menschen im Kongo unter schwierigsten Bedingungen nach Tantalknollen graben, die diesmal die Ressource für Mobiltelefone und andere Geräte der Kommunikationstechnologie sind. "So wie damals ist die Hochtechnologie in den Zentren angesiedelt", schreiben Winiwarter und Bork, und "so wie damals sind die Natur in den Peripherien und die Einheimischen die langfristig Geschädigten".

Die Osterinsel gerettet

Aber es gibt auch andere Geschichten in dem Buch. Solche, die zeigen, dass Menschen auch Möglichkeiten finden, die widrigen Umweltbedingungen, die sie selbst geschaffen haben, wieder zu lindern. Ein Beispiel, das Verena Winiwarter und Hans-Rudolf Bork besonders am Herzen liegt, sind die Steingärten auf den Osterinseln. Die Menschen reagierten auf eine immer feindlicher werdende Umwelt. Die Schwierigkeiten waren entstanden, nachdem rund um 1600 auch der letzte Baum der einstigen dichten Palmenwälder auf der Insel gerodet war. Die fruchtbare oberste Schicht des Bodens wäre damit der Verwitterung durch Wind und Regen preisgegeben gewesen - hätten die Inselbewohner nicht eine durchschlagende Idee gehabt.

"Die Steine, die Sie heute sehen und die diese Insel so rau und unwirtlich erscheinen lassen, sind absichtlich und mit Sorgfalt hingelegt", sagt Verena Winiwarter. "Sie beschützen dir kostbare Bodendecke, die sonst erosionsgefährdet wäre, vor den Elementen."

Erfolgsgeschichten und ihr Gegenteil, Geschichten von Ausbeutung, Ausrottung und Vernichtung erzählen die beiden Autoren in ihren sechzig Reisen durch die Zeit. Jeder Reise ist eine Doppelseite des großformatigen Buches gewidmet, reich bebildert und mit einem Text, in dem die Geschichten auf das Wesentlichste komprimiert flüssig erzählt werden. So können sie in beliebiger Reihenfolge zu einer Tasse Tee oder Kaffee gelesen werden, stellt sich Verena Winiwarter vor. Wer dann noch mehr wissen will, der findet Anregungen in der ausführlichen Literaturliste am Ende des Buches.

Die Reisen führen auf alle Kontinente, sind manchmal auf ganz lokale Entwicklungen beschränkt, andere Male führen sie zu Begebenheiten mit unmittelbaren globalen Auswirkungen. Aus dieser historischen Rücksicht könnte sich Weitsicht entwickeln, fasst die Umwelthistorikerin Verena Winiwarter ein Ziel ihrer Arbeit zusammen. Eine Weitsicht, die zu mehr Achtsamkeit im Umgang mit der Umwelt führt und so eine vorsorgende Gesellschaft möglich macht, die die Handlungsmöglichkeiten nachfolgender Generationen eher erhöht als verringert.

Service

Verena Winiwarter, Hans-Rudolf Bork, "Geschichte unserer Umwelt. Sechzig Reisen durch die Zeit", Primus Verlag