Behindertenanwalt gegen "Sonderpädagogik"

Immer mehr Schüler und Schülerinnen in Österreich werden als "sonderpädagogisch förderungswürdig" eingestuft, berichtet heute "Der Standard". Behindertenanwalt Erwin Buchinger vermutet dahinter auch finanzielle Interessen der Schulen und fordert eine Trendumkehr.

Mittagsjournal, 7.8.2014

Förderbedarf als Ressourcenquelle

Im Schuljahr 2000/2001 waren es noch 27.000 Schüler, die speziell gefördert wurden, zwölf Jahre später schon knapp 30.000. An den Polytechnischen Schulen hat sich die Zahl sogar auf fast 1.000 verdreifacht. Spitzenreiter ist Wien, hier wurden zuletzt knapp sieben Prozent aller Schüler und Schülerinnen als förderungswürdig eingestuft, den geringsten Förderbedarf gab es in Tirol mit rund vier Prozent.

Behindertenanwalt Erwin Buchinger glaubt, dass es den Bezirksschulräten und Direktoren beim sonderpädagogischen Förderbedarf (kurz SPF) auch oft ums Geld geht: "Schulen haben Interessen, Ressourcen zu bekommen, Dienststellen und Dienstplanstellen, und nützen die Möglichkeiten dazu. Und SPF ist eine Möglichkeit." Das könnte erklären, warum zum Beispiel Schulen mit vielen Migrantenkindern, so wie in Wien oder Vorarlberg, besonders oft Förderbedarf zuerkennen - und ihn auch nicht mehr aberkennen, sagt Buchinger.

Weg mit den Sonderschulen

Buchinger, früher SPÖ-Sozialminister, warnt aber, dass dieses Etikett ein Stigma für den betroffenen Schüler, die betroffene Schülerin bedeute - auch später bei der Jobsuche. Immerhin scheint die Einstufung auch in Zeugnissen auf. Und Zeugnisse aus Schulen mit sonderpädagogischem Förderbedarf seien bei Bewerbungen abgesehen von Zeugnissen aus Sonderschulen am schlechtesten, das sei durch Untersuchungen belegt.

Von den 30.000 Kindern mit speziellen Bedürfnissen besuchten zuletzt knapp die Hälfte eine Sonderschule - Tendenz steigend. Für Buchinger ist das der falsche Weg: Diese mehr als 300 Schulen müssten abgeschafft werden - entsprechend internationalen Verpflichtungen: "Alle Kinder mit Behinderungen sollten in den Regelschulen unterrichtet werden. Dazu hat sich Österreich auch mit der Ratifizierung der Behindertenkonvention bekannt." Innerhalb von zehn Jahren, so Buchinger, solle es keine Sonderschule mehr in Österreich geben.