Erdogan am Höhepunkt seiner Macht

Eine "neue Ära" - das kündigte der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan nach seiner gestrigen Wahl zum Staatspräsidenten an. Mit einem erzielten Wahlergebnis von rund 52 Prozent der abgegebenen Stimmen kann Erdogan die nächsten fünf Jahre bequem regieren und - seinem Ziel entsprechend - womöglich weitere fünf Jahre als Staatspräsident anhängen.

Morgenjournal, 11.8.2014

Christian Schüller im Gespräch mit Klaus Webhofer über den neuen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Dank Medienkotnrolle zum Sieg

Selbst die in letzter Zeit angestiegenen Proteste gegen Erdogan, beispielsweise durch publik gewordene Korruptionsvorwürfe oder im Rahmen der Gezi-Proteste, haben seinem Erfolg nicht Abbruch getan. Einer der Gründe dafür sind die von Erdogan kontrollierten Medien, insbesondere das türkische Staatsfernsehen, das in einigen Teilen des Landes wie etwa in Anatolien die einzige Informationsquelle darstellt. Viele andersdenkende Journalisten werden eingeschüchtert, sofern sie nicht willens sind, sich anzupassen.

Zudem sind es nicht politische Fragen sondern jene des alltäglichen Lebens, die bei einem Großteil der Bevölkerung auf Interesse stoßen. Diese sehen die letzten zehn Jahre unter Premier Erdogan als sehr stabile Jahre an, innerhalb derer die Türkei von etwaigen Staatsbankrotten oder Hyperinflationen verschont geblieben ist. Das Leben dieser Menschen hat sich schrittweise verbessert, Erdogan wieder zu wählen sehen sie als Garantie dafür an, dass sich diese Situation nicht zum schlechteren hin wenden wird.

Allerdings ist seine Position nicht in dem Ausmaß gesichert, wie von seinen Anhängern dargestellt wird. Denn selbst innerhalb seiner Partei hat sich die Zahl seiner Gegner vergrößert. Diese wehren sich zunehmend gegen Erdogans Vorstellung, die Verfassung des Landes zu ändern und ein Präsidialsystem einzuführen. Zudem steht die Hälfte der Bevölkerung nicht geschlossen hinter ihm.

Stärkung des Präsidenten, nicht des Islam

Mit der Änderung der Verfassung und dem schrittweisen Ausbau der Macht des Präsidenten hat Erdogan bereits in den letzten Jahren begonnen, das Land umzubauen. Als Vorbild für seine Vorgehensweise könnte der russische Präsident Putin und das politische System Russlands sein, das dem Staatsoberhaupt viel Macht einräumt und wenig Kontrolle seitens anderer politischer Instanzen ermöglicht.

Hinsichtlich der von Erdogan im Vorfeld der Wahlen angekündigten Reform zur Stärkung des Islam ist strittig, wie er nun vorgehen wird. Die Türkei ist in Bezug auf die Frage der Religion ein in zwei Teile gespaltenes Land, wovon sich die eine Hälfte dezidiert gegen eine Steigerung des religiösen Elements ausspricht. Will Erdogan seine Macht beibehalten und aus der nächsten Präsidentschaftswahl als Sieger hervorgehen, wird er diese Tatsache nicht außer Acht lassen.

Außenpolitische Mäßigung zu erwarten

Ein Beitritt der Türkei zur EU unter Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan ist, dem gegenwärtigen Verhältnis nach zu urteilen, auszuschließen. Allerdings wird Erdogan, in der jetzigen außenpolitischen Situation umgeben von Gegnern bis hin zu Feinden, seine bis dato betriebene Isolationspolitik nicht weiter fortsetzen können. Es ist davon auszugehen, dass er seine Haltung gegenüber der Europäischen Union mäßigen wird.