Krimi von Andre Georgi

Tribunal

Visegrad an der Grenze zwischen Bosnien-Herzegowina und Serbien. Die frühen 1990er Jahre. Dort steht jene, inzwischen zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärte Brücke, über die der jugoslawische Literaturnobelpreisträger Ivo Andric seinen berühmten historischen Roman geschrieben hat.

Dort haben im sogenannten Bosnien-Krieg des ausgehenden 20. Jahrhunderts paramilitärische Sondereinheiten und Verbrecherbanden serbischer Provenienz grauenhafte Massaker an der muslimischen Zivilbevölkerung verübt. Wie immer divergieren die Zahlen bei Kriegsverbrechen dieser Dimensionen. Einmal ist von Hunderten dann von Tausenden Toten die Rede, deren Leichen einfach in den Fluss geworfen worden sind, auch von jener Brücke, über die Andric seinen Nobelpreisroman geschrieben hat.

Fakt ist, dass das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag mehrere Personen dieser Verbrechen schuldig spricht. Einer, der Anführer des serbischen paramilitärischen Trupps "Weiße Adler" wird 2009 zu lebenslanger Haft verurteilt.

UN-Spezialermittlerin sucht Zeugen

Ausgehend von diesen zeitgeschichtlichen Abläufen und sehr nahe an ihnen haften bleibend, hat der deutsche Schriftsteller Andre Georgi den Politthriller "Tribunal" geschrieben. Aus den "weißen Adlern" sind zwar "Wölfe" geworden und auch die Namen der direkten Protagonisten sind geändert worden, aber Ort, Zeit und Dimension des Unfassbaren sind gleich geblieben.

Georgi, mehrfacher Drehbuchautor für deutsche Fernsehkrimireihen, lässt seinen Roman wie eine seiner "Tatort"-Folgen beginnen. In Den Haag steht der serbische Milizenführer vor dem Tribunal, heute soll einer der ehemaligen Weggefährten als Kronzeuge gegen ihn aussagen. Ein Durchbruch für die UN-Spezialermittlerin und Romanheldin Jasna Brandic, die den Mann von Albanien bis nach Holland gebracht hat, denn alle vorherigen Zeugen sind entweder spurlos verschwunden oder auf rätselhafte Weise ums Leben gekommen, bevor sie in Den Haag aussagen konnten.

Nicht weiter verwunderlich: Auch dieser Zeuge - so viel darf verraten werden - wird nicht aussagen. Trotz strengster Sicherheitsvorkehrungen und ausgeklügelter polizeilicher Schutz- und Ablenkungsmaßnahmen wird er direkt vor dem Gerichtsgebäude von einem Scharfschützen aus 600 Meter Entfernung erschossen.

Das Grauen des Krieges

Die Suche nach Zeugen beginnt von neuem, und sie führt die Ermittlerin direkt nach Serbien und Bosnien. Über einen anonymen Informanten erfährt sie, dass einer der ehemaligen "Wölfe", noch dazu der Stellvertreter des in Den Haag Angeklagten, sich von seinen seit Jahren versteckt haltenden Kumpanen trennen und aussagen will.

Was folgt ist eine Mischung aus geheimdienstlichem Ränkespiel, erpresserischen Manövern und blutigen Abrechnungen. Garniert wird das Ganze mit grausamen Folter- und Mordszenen und ebenso grauenhaften Rückblenden in jene Zeit, die es vor dem Kriegsverbrechertribunal zu verhandeln gilt. Die Details möge man mir hier ersparen, für zart besaitete Gemüter sind sie nicht geschrieben und jugendfrei ist diese Anhäufung von sadistischem Wahnsinn und brutaler Wirklichkeit schon gar nicht.

Als die Ermittlerin Jasna durch einen Verrat in die Hände der untergetauchten Freischärler fällt, gewinnt das ohnehin rasant vorangetriebene Geschehen weiter an Dramatik. Zwar gelingt ihr die Flucht, aber nun ist die Jägerin selbst die Gejagte und das auf dem Boden der Republika Srpska.

Schluss der Nacherzählung. Die Geschichte endet jedenfalls dort, wo sie begonnen hat. Ob dieses Ende aber irgendetwas mit Endgültigkeit oder gar Gerechtigkeit zu tun hat, das bleibe dahin gestellt.

Fesselnder Politthriller

Andre Georgi hat einen fesselnden Politthriller geschrieben. Ausführlich recherchiert, dramaturgisch geschickt aufbereitet, ganz wie man es von einem guten Drehbuchautor erwartet, aber auch die psychologische Feinzeichnung seiner Romanfiguren ist durchaus stimmig ausgefallen, wenn man das angesichts der menschlichen Abgründe, die sich hier auftun, überhaupt sagen kann. Für all diese Benefits seien ihm seltene Stilblüten und gelegentliche politisch-klischeehafte Exkurse durchaus verziehen.

Über Georgis geschickt mittendrin in einem Balkanthriller platzierten Antiaustriazismus wird allerdings noch zu reden sein. Gerade dem schlimmsten Schlächter der "Wölfe", einem in Gmunden aufgewachsenen serbischen Gastarbeitersohn, attestiert er einen "eigenwilligen österreichischen Mehlspeisen-Tonfall, dieses Habsburger Geknödel über den Verlust des Kaiserschmarrn-Imperiums", wie er schreibt.

Service

Andre Georgi, "Tribunal" Suhrkamp Verlag

Andre Georgi