Krimi von Leonardo Padura

Ketzer

International bekannt geworden ist der Kubaner Leonardo Padura mit seinem Romanzyklus "Das Havanna-Quartett". Vier spannende und kurzweilige Kriminalromane rund um die pfiffig-sympathische Figur des Polizisten Mario Conde - Krimis, die durchaus auch die gesellschaftliche Realität und die jüngere Geschichte Kubas widerspiegeln.

Insbesondere geht's um jene Zeit der sogenannten "periodo especial en tiempo del paz", jener Sonderperiode in Friedenszeiten, wie die kubanische Regierung die wirtschaftliche Notlage bis an den Rande des Zusammenbruchs der Karibikinsel in den 1990er Jahren bezeichnete.

Die Auflösung der Sowjetunion und damit ihr Wegfall als wichtigster Handelspartner und letztlich Finanzier Kubas sowie die Verschärfung der US-amerikanischen Wirtschaftsblockade waren die äußeren Ursachen einer Zeitspanne, die für die Bevölkerung neben den gewohnten politischen Restriktionen permanente Stromausfälle und einen massiv verschärften Mangel an Waren aller Art - begonnen bei den Lebensmitteln - bedeutete. Das Castro-Regime versuchte gegenzusteuern, indem es widerwillig die Insel für den Massentourismus öffnete und eine zweite, an den US-Dollar gebundene Touristenwährung einführte.

Besserung der Lage

Die wirkliche Überwindung der dramatischen Lage gelang allerdings erst um die Jahrtausendwende, als die Handelsbeziehungen zu Venezuela intensiviert wurden, das Kuba seitdem zu speziellen Konditionen mit Öl versorgt. Inzwischen hat Fidel Castro die Macht an seinen Bruder Raul abgegeben, im ökonomischen Sektor wird zaghaft privatisiert, der Massentourismus hat seine negativen Auswüchse verfestigt - von der Prostitution bis zur Zweiklassengesellschaft jener Kubaner, die Zugang zur Touristenwährung haben oder eben nicht.

Politisch herrscht nach wie vor die eine, kommunistische Partei, und eine Opposition, die sich lautstark äußern könnte, gibt es nicht. Sie wird schikaniert und unterdrückt. Ebenso wenig gibt es eine Verbesserung in den Beziehungen zu den USA, obwohl sich die Kubaner, und damit ist nicht nur die Regierung gemeint, von Barack Obama einiges erwartet haben. Soweit eine kurze, unvollständige Einschätzung der jüngsten Historie. Sie ist notwendig, um Leonardo Paduras Bücher und ihren Autor besser verstehen zu können.

Mario Conde ist wieder da

In den letzten Jahren hat Padura eine dickleibige Trotzki-Biografie in Romanform verfasst, ein grandioses Buch über Hemingway auf Kuba geschrieben, den Polizisten Conde hat er seinen Dienst quittieren lassen, aufgegeben aber hat er diese melancholisch-schelmenhafte Figur nicht. Mario Conde schlägt sich nun als Händler antiquarischer Bücher und gelegentlicher Privatdetektiv durch die Straßen und Viertel von Havanna. "Ketzer", Paduras jüngster Roman, ist ebenfalls ein Conde-Buch, aber nicht nur. Das signalisiert schon der Umfang von gut 650 Seiten, inklusive Autorennachwort.

Es handelt sich um ein vielschichtiges Epos, das quer durch die Jahrhunderte und über die Kontinente reicht. Eine Mischung aus Historienroman, kunstgeschichtlicher Abhandlung und Kriminalerzählung, die sich letztlich im Havanna von heute verortet.

Rembrandt und die Malerei des Barock

Ausgangspunkt des Romans ist eine alles andere als ruhmreiche Geschichte Kubas im Frühling 1939. Ein aus Hamburg kommendes Linienschiff mit knapp 1.000 jüdischen Flüchtlingen an Bord liegt im Hafen von Havanna vor Anker. Trotz vorhandener kubanischer Visa für alle Passagiere wird kaum jemand an Land gelassen, und nachdem auch Kanada und die USA die Aufnahme verweigern, geht es zurück nach Europa, in den Krieg und in den Holocaust.

Aus diesem beschämenden Ereignis entwickelt Padura seine Geschichte. An Bord des Flüchtlingsdampfers befindet sich eine jüdische Familie, die seit Generationen einen echten Rembrandt in ihrem Besitz hat. Die Vorstudie einer Christusdarstellung für das Gemälde "Pilger von Emmaus", ein Tauschobjekt, um in letzter Not doch noch an Land zu kommen. Doch kubanischen Boden erreicht nur der Rembrandt, die Familie wird betrogen.

Jahrzehnte später, 2007 taucht das Bild bei einer Auktion in London auf, und bei Mario Conde meldet sich über Vermittlung eines Exilkubaners ein Nachkomme jener Familie, die das Gemälde einst besessen hat. Die Suche nach dem Bild, nach seinem aktuellen und widerrechtlichen Besitzer ist der "Plot", der grobe Handlungsfaden von Leonardo Paduras Roman. Doch sein Autor macht viel mehr daraus, schon die Kapitelgliederung verdeutlicht es. Da gibt es "Das Buch Daniel", "Das Buch Elias", "Das Buch Judith" und am Ende die "Genesis".

Während Mario Conde vor Ort ermittelt, schickt der Erzähler den Leser in das Havanna der späten 1930er und frühen 1940er Jahre, siedelt den Hauptteil des Romans im Amsterdam des 17. Jahrhunderts an und schafft damit eine bestechende historische und kunstgeschichtliche Abhandlung über Rembrandt und die Malerei des Barock, vor allem aber auch über die jüdische Gemeinde jener Zeit in den Niederlanden, wo zwar die Wirtschaft prosperiert, wo aber auch erbitterte Glaubenskämpfe zwischen strenger Orthodoxie und liberaler Interpretation ausgetragen werden. Padura hat ausgiebig recherchiert für dieses so bezeichnete "Buch Elias", und selten hat man derart Konzises und Spannendes über Maltechnik und Religiosität gelesen wie hier.

Die Ketzer unter den Jugendlichen

Selbstverständlich geht das alles über einen Kriminalroman in klassischem Sinne weit hinaus, und am Ende ist es auch gar nicht mehr so wichtig, wem der 1939 auf Kuba gestrandete Rembrandt zugeordnet werden kann. Die Klammer aber, die alles zusammenfügt, den Barock, die Pogrome, den Holocaust und die kubanische Gegenwart, die verdankt sich der Krimihandlung und dem Titel des Buchs: "Ketzer". Ein solcher Ketzer, ein Häretiker, war der Jude Elias, der als Rembrandt-Schüler dem Meister Modell für seine Christusdarstellung stand.

Ketzer findet der Detektiv Conde unter jenen kubanischen Jugendlichen, die sich mal als Emos, mal als Punks oder Rastas drapieren, um so ihre innere Opposition gegen das System öffentlich zu machen:

Die Kinder von "el periodo especial" also. Aller kollektiven Hoffnungen und Träume beraubt, auf der Suche nach Dollars und Markenwaren, auch wenn sie den eigenen Körper dafür verkaufen müssen, und mit dem Kopf immer auf dem Sprung, weg von dieser ruhmreichen, revolutionären Insel.

In Spanien veröffentlicht

Leonardo Padura hält in allen seinen Büchern nicht mit Kritik an den kubanischen Verhältnissen hintan. Trotzdem hat er vor zwei Jahren den "Kubanischen Nationalpreis für Literatur" erhalten. Ein auflösbares Dilemma, denn Paduras Kritik ist subtil, sie ist eine von innen, kein totaler Affront, manche Kubaner lesen sie als sarkastisch-melancholische Liebeserklärung an ihre Insel - soferne sie etwas Neues von ihm zu lesen bekommen, denn Paduras Bücher erscheinen in Spanien, in den Buchhandlungen Havannas wird man sie meist vergeblich suchen. Ob das jetzt mit Zensur oder mit der nach wie vor prekären Wirtschaftslage und dem Papiermangel zu tun hat, darüber ließe sich noch lange spekulieren...

Service

Leonardo Padura, "Ketzer", aus dem Spanischen von Hans-Joachim Hartstein, Unionsverlag