Jeremy Rifkins neueste Wirtschaftsvision

Das Super-Internet der Dinge

Das neue Buch von Bestsellerautor Jeremy Rifkin hat einen äußerst sperrigen Titel: "Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft. Das Internet der Dinge, kollaboratives Gemeingut und der Rückzug des Kapitalismus". Ein weiteres Mal beschreibt der amerikanische Wirtschaftsvisionär, die in seinen Augen unübersehbaren Zeichen für einen fundamentalen gesellschaftlichen Wandel.

Aus unserer industriell geprägten Welt sieht er eine gemeinschaftlich orientierte Gesellschaft erwachsen. In ihr ist Teilen mehr wert als Besitzen, sind Bürger über nationale Grenzen hinweg politisch aktiv und steht das Streben nach Lebensqualität über dem nach Reichtum.

"Was wir zurzeit erleben, ist das Enstehen einer neuen Weltwirtschaftsordnung. Das passiert zum ersten Mal seit dem Auftauchen des Kapitalismus und Sozialismus im frühen 19. Jahrhundert", so Rifkin.

Teil- und Tauschökonomie

Jeremy Rifkin hat schon mehrere Male bedeutende gesellschaftliche Entwicklungen richtig interpretiert. 1995 etwa prognostizierte er - als Folge der Automatisierung - den Niedergang der Massenerwerbsgesellschaft. Nun sieht er eine globale Wirtschaftsordnung heraufziehen, bei der die kapitalistische Profitmaximierung abgelöst wird von einer Teil- und Tauschökonomie. Rifkin nennt dieses System der gemeinschaftlichen Selbsthilfe die "kollaborativen Commons". Tatsächlich, so der Autor, sei die "dritte Industrielle Revolution" bereits im Gang.

Wandel, der weit über die Wirtschaft hinausreicht

"Eine ganze Generation, Hunderte von Millionen von jungen Leuten sind täglich im Internet und produzieren - als soziale Unternehmer - ihre eigenen Videos, Wikipedia-Einträge und Nachrichtenblogs. Sie glauben daran, dass sie, indem sie ihre Kreativität und ihre Talente mit anderen teilen, zum Gemeinwohl beitragen. Letztendlich tun sie sich selbst etwas Gutes damit, da ihr soziales Kapital wächst, und sie in ihrer Gemeinschaft an Ansehen und Status gewinnen. Die Teilökonomie wird einen ganz neuen Typus von Unternehmer hervorbringen."

Die solidarische Grundhaltung, die in seiner Vision eine zentrale Rolle spielt, symbolisiert für Rifkin einen Wandel, der weit über die Wirtschaft hinausreicht. In seinem Buch schreibt er:

Für einen Paradigmenwechsel eines Wirtschaftssystems, meint Rifkin, müssten gravierende technologische Neuerungen in drei Bereichen zusammenkommen: bei der Kommunikation, der Energieerzeugung und dem Transportsystem.

"Bei der ersten industriellen Revolution im 19. Jahrhundert machten Setzmaschinen den Buchdruck schnell und billig. Dazu kam das Telegram, billige Kohle und die Dampflokomotive - und mit ihr die Ausweitung von lokalen auf nationale Märkte, kontrolliert von nationalen Regierungen. Im 20. Jahrhundert brachte die zweite industrielle Revolution dann die dezentrale Elektrizität, das Telefon, später Radio und Fernsehen, billiges Erdöl und nationale Straßennetze als Transport- und Logistiksystem", erklärt der Autor.

Revolutionär sinkende Grenzkosten

Als Auslöser der "dritten industriellen Revolution" sieht Rifkin die Entwicklung der Grenzkosten. Das sind die Kosten, die bei der Produktion einer Ware oder Dienstleistung nach Abzug der Fixkosten entstehen. Mit Hilfe der digitalen Technologie, so der Autor, tendierten die Grenzkosten inzwischen gegen Null:

"In der Wirtschaft versucht man beständig, die Grenzkosten zu senken, um billigere Produkte anbieten zu können, Käufer zu gewinnen und Profit zu machen. Niemand hat jedoch, auch nicht in seinen wildesten Träumen erwartet, dass eine technologische Revolution die Grenzkosten eines Tages gegen Null bringen könnte. Viele Waren und Dienstleistungen sind deshalb fast umsonst und im Überfluss zu haben - und verlieren den kapitalistischen Marktwert, der auf Knappheit beruht."

Vorreiter Musikindustrie

Begonnen hätte die Entwicklung in der Musikindustrie, wo heute eine weitere CD kaum noch etwas kostet. Rifkin geht davon aus, dass auch in anderen Wirtschaftszweigen zunehmend Konsumenten die Produktion übernehmen und so zu "Prosumenten" werden.

"Super-Internet der Dinge"

Möglich wird diese Entwicklung laut Rifkin durch die drei bahnbrechenden technologischen Neuerungen unserer Zeit: das Internet, die erneuerbaren Energien und das Navigationssystem GPS. Dazu käme die Entstehung eines "Super-Internet der Dinge", das die Menschen, Waren und Dienstleistungen auf der ganzen Welt verbinden werde.

"Ein Gewinneinbruch wie in der Musikindustrie, bei den Zeitungs- und Buchverlagen oder beim Fernsehen passiert nun im Energiesektor. Innerhalb der nächsten 20 Jahre werden Hunderte von Millionen von Menschen überall auf der Welt ihre eigene Solar- und Windkraftenergie erzeugen und es zu Null Grenzkosten in das Energie-Internet einspeisen. Die großen Stromerzeuger von heute werden dann nur noch das Energie-Internet technisch verwalten und einen Gewinnanteil aus der Stromerzeugung erhalten. Bei erneuerbaren Energien profitiert die Umwelt, und wir verbrauchen weniger Energie."

Verkommt das komplexe Denken?

Car-Sharing via GPS, das Teilen von Wohnungen über die Internet-Plattform AirBnB, Massen-Onlinekurse an Universitäten und 3D-Drucker sind in den Augen von Jeremy Rifkin weitere Vorboten des neuen "smarten" Systems. Ihm traut er sogar zu, den Analphabetismus in Entwicklungsländern zu besiegen. Als potentielle Gefahren sieht er vor allem den Cyberterrorismus, doch wird die smarte Technologie langfristig womöglich die Denkleistung der Menschen verkümmern lassen, ihre Fähigkeit zum kritischen und komplexen Denken? Dies sei eine Frage, gesteht Rifkin, auf die es bisher keine Antwort gebe.

"Was sicher geschehen wird, ist, dass die Menschheit in Echtzeit wie eine große Familie zusammenkommen kann. Die Kehrseite ist: Wie steht es mit der Datensicherheit? Mit Privatsphäre und Transparenz? Werden die großen Unternehmen des 20. Jahrhunderts versuchen, ein Monopol auf die neue technologische Plattform zu erringen? Das ‚Internet der Dinge’ muss offen, transparent und staatlich reguliert sein."

Keine Utopie, sondern besserer Weg

Unter diesen Bedingungen, ist Jeremy Rifkin überzeugt, werden die neuen Prosumenten der "kollaborativen Commons" den Größen der alten Wirtschaftsordnung die Stirn bieten und neben ihnen bestehen können.

"Die junge Generation hat es geschafft, riesige Industrien des vorigen Jahrhunderts wie die Musikindustrie und den Fernseh- und Zeitungsmarkt in die Knie zu zwingen und Kommunikation zu demokratisieren. Es ist also keine Utopie. Die Reise dorthin wird jedoch steinig und voller Konflikte sein. Aber es wird eine bessere Reise als die, die wir hinter uns haben."

Jeremy Rifkin beschreibt in seinem Buch eine Welt voller smarter Geräte und Maschinen. Man kann sich davor gruseln oder darüber freuen, wie der Autor. In jedem Fall bietet Rifkin auf mehr als 500 Seiten eine Fülle von wertvollen Anregungen darüber, wie unsere Welt in nicht allzu ferner Zukunft aussehen könnte.

Service

Jeremy Rifkin, "Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft. Das Internet der Dinge, kollaboratives Gemeingut und der Rückzug des Kapitalismus", aus dem Amerikanischen von Bernhard Schmid, Campus Verlag