Philosophische Betrachtungen von unterwegs

Der Läufer und der Wolf

Der britische Philosoph Mark Rowlands beschloss, mit seinem Wolfshund-Mischling Brenin laufen zu gehen. An der University of Miami befasst sich der Professor vor allem mit dem Themenkreis Philosophie des Geistes, und so konnten Gedanken über das Wesen des Laufens nicht ausbleiben. Das Ergebnis ist das Buch "Der Läufer und der Wolf".

Schon als Kind ist Mark Rowlands ganz gern gelaufen. Das war daheim, in Südwales. Dass aus dem Philosophen jedoch ein geradezu leidenschaftlicher Läufer wurde, - das verdankt er Brenin: "Ich hatte gerade meinen ersten Posten in den USA angenommen. Ich war mit großen Hunden aufgewachsen, und ohne Hund fehlte mir etwas. Da ich nun länger in den USA sein würde, wollte ich mir wieder einen Hund zulegen. In den Lokalanzeigen einer Zeitung wurden junge Wölfe angeboten. Das musste ich sehen. Wahrscheinlich war mein Schicksal schon in diesem Moment besiegelt. Denn ich bin verrückt nach Welpen, und wenn ich einen Wolfs-Welpen nur sah, war klar: Ich würde einen haben wollen."

Ein Jagdspiel zu Beginn

Die Wölfe waren wohl eher Mischlinge, also Wolfshunde. Und wie zu erwarten, konnte Mark Rowlands nicht "nein" sagen. Als Welpe war Brenin ja recht niedlich. Doch als erwachsenes Tier war er nicht mehr zu bändigen. Der Philosoph weiß noch, wann für ihn die Stunde als Läufer schlug:

"Ich erinnere mich noch genau an den Tag. Ich war Zuhause, und meine Gedanken wurden immer wieder durch ein dumpfes, schlagendes Geräusch unterbrochen. Ich muss dazu eines vorausschicken: Brenin schnappte sich gerne ein Sofakissen, wenn er wusste, ich würde es merken. Dann rannte er damit davon und ich hinter ihm her. Es war also ein Jagdspiel. An diesem Tag fiel ihm ein, statt in ein Kissen in den Lehnstuhl zu beißen und diesen gegen den Rahmen der Hintertür zu schlagen. So erklärte sich das Geräusch."

Die Überlegung dahinter

Brenin musste seine unbändige Energie irgendwie abbauen. Also beschloss Mark Rowlands, mit ihm Laufen zu gehen. Und da er sich als Philosophieprofessor an der University of Miami vor allem mit dem Themenkreis Philosophie des Geistes befasst, konnte es nicht ausbleiben, dass er sich über das Wesen des Laufens Gedanken machte. Das Ergebnis ist das Buch "Der Läufer und der Wolf".

"Kinder haben eine Eigenschaft, die wir Erwachsene im Laufe der Zeit verlieren: Sie freuen sich an einer Sache oder einer Tätigkeit um ihrer selbst willen. Ohne, dass es dafür einen pragmatischen Grund gibt", sagt Rowlands. "Wenn man Erwachsene fragt, warum sie laufen, bekommt man oft zu hören: Ach, ich möchte ein bisschen abnehmen. Es geht also um die Gesundheit, und Laufen ist ein Mittel zum Zweck, damit man fitter ist. Oder besser aussieht. So betrachtet ist Laufen wie Geld. Denn Geld hat keinen Wert an sich. Sein Wert besteht darin, was man damit kaufen kann."

Zugegeben, auch Mark Rowlands begann mit dem Laufen aus pragmatischen Gründen: Ein erschöpfter Wolfshund, so die Überlegung, würde das Mobiliar schonen. Diese Rechnung ging übrigens nie ganz auf. Denn wie das beim Laufen so ist: Je mehr man läuft, desto fitter wird man. Das gilt für Menschen - und ebenso für Tiere.

Kontrollinstanz Geist

"Es gibt beim Laufen verschiedene Phasen: Ich verletze mich immer wieder, und daher achte ich sehr darauf, was sich in meinem Körper abspielt. Wenn ich ein unangenehmes Ziehen in meiner Wade spüre, denke ich sofort: Hört das von allein wieder auf? Oder soll ich lieber stehen bleiben? Zu Beginn eines Laufs bin ich ein durch und durch verkörpertes Ich", so der Autor.

Dazu gehört auch, dass das Ich mit dem Geist und dem Körper verhandelt. Es fleht: "Lass es mich noch bis zur Kreuzung schaffen. Dann gehen wir ein Stückchen." Das, so Mark Rowlands, sei jedoch nur die erste Phase des Laufens.

Allmählich beginnt sich das Verhältnis von Körper und Geist zu verändern: "Je länger ich laufe, desto mehr löst sich der Geist sozusagen auf. Der Geist als Kontrollinstanz verschwindet. Hin und wieder tauchen verschiedene Gedanken auf. Sie kommen wie aus dem Nichts und machen sich irgendwohin davon. Oft fällt einem dummes Zeug ein. Doch manche Gedanken waren auch recht nützlich zum Lösen von philosophischen Problemen, mit denen ich mich gerade befasste.

Mark Rowlands nennt diese Phase den "Herzschlag des Laufens". Meist läuft er mit mehreren Hunden, erzählt er. Und wenn sein Atem und jener Hunde dem gleichen Rhythmus gehorcht, wenn seine und ihre Schritte im Einklang sind, - dann hat er diese Phase erreicht.

Gedanken über das Altern

Das Buch "Der Läufer und der Wolf" ist auch ein Buch übers Älterwerden. Mark Rowlands ist 49 Jahre alt und bildete sich ein, unbedingt einen Marathon laufen zu müssen. Wenige Wochen davor zog er sich eine Zerrung des Wadenmuskels zu. An eine respektable Laufzeit war also nicht mehr zu denken. Der Philosoph konnte froh sein, wenn er es überhaupt ins Ziel schaffen würde:

"So um die 22-, 23-Kilometer-Marke fühlte ich mich gar nicht gut. Laufen tat weh. Doch gleichzeitig wurde mir eines klar: All die Gründe, warum ich stehenbleiben sollte, und all die schmerzlichen Empfindungen zusammengenommen, - das reichte dennoch nicht aus, dass ich hätte aufhören wollen. Ich empfand diese Einsicht als eine Art Freiheit.

So allmählich macht Mark Rowlands sich Gedanken darüber: Was tun, wenn er einmal nicht mehr laufen kann? Manche Ex-Läufer wechseln aufs Rad. Doch das gefällt ihm nicht so sehr. Was dem Philosophen Mut macht, ist eine Erfahrung während des Marathons: Mehr als 30 Kilometer lang blieb ihm eine etwa 70-jährige Frau dicht auf den Fersen. Erst kurz vor dem Ziel konnte er sie abschütteln. Mit ein bisschen Glück, so hofft Rowlands, werde er in diesem Alter auch noch so gut unterwegs sein.

Service

Mark Rowlands, "Der Läufer und der Wolf. Philosophische Betrachtungen von unterwegs", aus dem Englischen von Michael Hein. Verlag Rogner & Bernhard, Berlin