Ukraine wählt ein neues Parlament

Es sind vorgezogene Wahlen, die nach dem Sturz von Ex-Präsident Janukowitsch und seiner Regierung im Februar den neuen politischen Kräften im Land auch die Legitimation durch die Bevölkerung geben sollen. Bereits jetzt ist klar, dass das neue Parlament pro-westlich ausgerichtet sein wird. Ebenfalls feststehen dürfte, dass die Partei des neuen ukrainischen Präsidenten Poroschenko die stärkste Kraft wird. Doch wirklich zufrieden dürften jene, die letzten Winter monatelang für mehr Demokratie im Land demonstriert haben, dennoch nicht sein. Denn auch im neuen Parlament wird ein großer Teil der Abgeordneten vom Geld der sogenannten Oligarchen, also der reichen und einflussreichen Wirtschaftskapitäne, abhängig sein.

Mittagsjournal, 25. Oktober 2014

Poroschenko liegt laut Umfragen vorne

Nicht Innenpolitik, nicht die immer noch ausufernde Korruption, nicht die schwere Wirtschaftskrise sind in diesem Wahlkampf die wichtigsten Themen. Der entscheidende Faktor sei das Problem von Krieg und Frieden, sagt der Kiewer Politologe Wadim Karasjow. Auf diesen Faktor zielen auch die meisten Wahlslogans ab. Die Botschaft der Partei des amtierenden Präsidenten Poroschenko lautet beispielsweise "Für den Frieden, es ist Zeit für Einigkeit". Derzeit sieht es danach aus, als hätte Poroschenko mit dieser Botschaft den richtigen Akzent gesetzt. Seine Partei "Block Poroschenko" liegt laut allen Umfragen klar voran.

Nach seiner Wahl zum Präsidenten im Mai hatte Poroschenko zuerst darauf gesetzt, die von den pro-russichen Separatisten gehaltenen Gebiete zurückzuerobern. Doch das brachte der Ukraine Ende August heftige Verluste und Poroschenko ließ sich auf die weiterhin äußerst brüchige Waffenruhe ein. Nun gilt er als Mann, der den Kompromiss mit den Separatisten und mit Russland sucht, seine Partei ist die gemäßigtste unter den pro-westlichen Kräften.

Koalitionsregierung zu erwarten

Sowohl die Partei Vaterland von Julia Timoschenko als auch die "Radikale Partei" des Rechtspopulisten Oleg Ljaschko, die laut allen Umfragen an zweiter Stelle liegt, kritisieren Poroschenkos Waffenstillstandsplan heftig. Auch die neue Partei Volksfront von Regierungschef Arseni Jajzenjuk gibt sich kämpferisch. Julia Timoschenko plakatiert, die Ukraine werde siegen und sammelt Unterschriften für einen Nato-Beitritt, Ljaschko zeigt sich auf Wahlplakaten mit dem Sturmgewehr in der Hand.

Mit einer dieser Parteien wird Poroschenko nach der Wahl vermutlich zusammenarbeiten müssen, von einer absoluten Mehrheit ist sein Block nämlich weit entfernt. Damit ist nicht ganz klar, ob die Ukraine den Kompromisskurs gegenüber den Separatisten auch nach der Wahl in gleicher Form forstsetzt.

Neue Orientierung, alte Korruption

Der Politologe Karasjow resümiert, es seien die ersten Parlamentswahlen in der Ukraine, bei denen eine pro-europäische Mehrheit dominieren wird. Die Partei der Regionen des gestürzten Ex-Präsidenten Janukowitsch ist nämlich zerfallen, und zwei kleinere pro-russische Nachfolgeparteien könnten an der Hürde von fünf Prozent scheitern.

Doch trotz der nun klaren Westorientierung hat sich eines in der Ukraine noch immer nicht geändert. Die Besitzer der allmächtigen Wirtschaftskonzerne finanzieren Abgeordnete und Parteien und haben somit enormen Einfluss auf die Politik, sagt Anatoli Bojko von der Wahlbeobachterorganisation "Komitee Ukrainischer Wähler". Im neuen Parlament wird es zwar weniger Leute Achmetows geben als früher, dafür aber Leute Firtschas, Kolomoiskis, und eventuell auch weiterer Oligarchen.

Einem politischen System ohne Korruption, wie es die Demonstranten vom Kiewer Maidan vor mehr als einem halben Jahr gefordert haben, wird die Ukraine laut Einschätzung von Wahlbeobachter Bojko bei diesen Wahlen nur einen ersten Schritt näherkommen.