Velázquez-Experte Javier Portús Pérez im Interview

Der Medienandrang war enorm, als die Spanische Königin Letizia gestern Abend die große Velázquez-Ausstellung im Kunsthistorischen Museum eröffnete. Es war ihr erster Auslandsbesuch als neue Regentin und es ist die erste monografische Schau des spanischen Barockmalers im deutschsprachigen Raum. Entstanden ist sie in enger Zusammenarbeit mit dem Madrider Museo del Prado.

Velázquez-Ausstellung

EPA/HERBERT NEUBAUER

Kulturjournal, 28.10.2014

Gewissenhafter Kenner der höfischen Etikette

Regungslos stehen sie da und schauen knapp am Betrachter vorbei ins Leere - die kleinen Infantinnen in ihren engen Korsagen ebenso wie der König Philipp der IV, der Velázquez als Maler an seinen Hof holte. Javier Portús Pérez, international renommierter Velázquez-Kenner: "Durch die Porträts von Velázquez bekommen wir eine Ahnung, wie eng das Korsett und wie streng die Etikette war, die das höfische Leben in Spanien bestimmte. Es ist zum Beispiel interessant, die Miene Philipps des IV. vom ersten Porträt, das Velázquez 1623 von ihm malte, bis zum letzten Bild aus den 50er Jahre zu vergleichen. Der Gesichtsausdruck ist immer exakt der gleiche."

Es sei nicht etwa das Abbild eines deprimierten oder traurigen Herrschers, wie immer wieder fälschlich interpretiert wird, sagt Portús Pérez. Vielmehr wusste Velázquez genauestens über die Codes und Etiketten bei Hof Bescheid. Die Gesichtsausdrücke und Körperhaltungen, die statischen Posen und die kontinuierliche Darstellung des Herrschers als semi-göttliches Wesen zeugen von diesem Wissen. Portús Pérez: "Das kann man auch in der Ausstellung gut sehen, wenn man die königlichen Porträts mit den Porträts der Hofnarren vergleicht. Hier die reduzierten Gesichtsausdrücke, dort, wo sich der Künstler viel freier fühlt, das zu malen, was er tatsächlich sieht, ein ungleich vielfältigeres Mienenspiel bis hin zum Lachen. Etwas, das undenkbar wäre beim Bild eines König oder einer Königin."

Ausdrucksstark und facettenreich sind auch die frühen Alltagsszenen, "Der Wasserverkäufer von Sevilla" gehört zu diesen lebendigen Momentaufnahmen in der damals reichsten Stadt Spaniens, wo Velázquez geboren wurde und seine erste Ausbildung erhielt, bevor er am Madrider Hof zum bis heute wichtigsten Zeugen der Herrschaft Philipps des IV. wurde.

Politische Dimensionen

Die frühen Portraits zeigen einen jugendlichen Herrscher, der gegen seinen Vorgänger intrigierte und möglichst wirkungsvoll neue politische Ideale proklamieren will: "Der König wird zum ersten Mal in der Herrschaftsgeschichte Spaniens bei der Arbeit abgebildet, mit Papieren in der Hand", sagt Javier Portús Pérez, "diese höfischen Bilder spiegeln das Ideal von Kontrolle, Arbeit und Sparsamkeit wieder, die er der angeblichen Verschwendung und Korruption von Philipp III. gegenüberstellte."

In der umfangreichen königlichen Kunstsammlung lernte Velázquez auch die italienischen Meister wie Tizian kennen. Einer Begegnung mit Rubens am Madrider Hof folgte seine erste Italienreise, die einen künstlerischen Schlüsselmoment einnimmt: Velázquez entdeckt die Leuchtkraft der Farbe.

Aufstieg der Malerei zur Kunst

Neben Poesie und Theater gehörte die Malerei untrennbar zum höfischen Zeremoniell. "Wir sind heute vor allem wegen der Gemälde von Velázquez so gut informiert über die Herrschaft Philipps des Vierten", sagt Javier Portús Pérez. Die enge Verbindung zur Literatur war es auch, die der Malerei zu mehr Ansehen verhalf - vom Handwerk zur Kunst. Und es ist schließlich auch die Literatur, die bei der Interpretation des unumstritten bedeutendsten Werks des Malers, den "Meninas", behilflich ist.

Mehr als 50.000-mal analysiert von Künstlern, Philosophen und Wissenschaftlern, zählt das Bild zu den größten und technisch ausgereiftesten Werken Velázquez. Im Alter von 57 Jahren bringt er darin die literarische Idee von Sein und Schein, von Vielschichtigkeit und lustvoller Täuschung auf die Leinwand. "Es gelingt ihm damit, eine so komplexe Erzählung zu schaffen, die bis heute nicht schlüssig entziffert werden kann", so Portús Pérez, "und das sorgt natürlich für Spekulationen. Nicht zufällig hat sich auch Picasso geweigert, seine Werke zu interpretieren, weil er genau wusste, dass sie dann die künftigen Generationen viel weniger interessieren würden." Nicht nur den "Meninas", sondern dem Gesamtwerk von Diego Velázquez steht demnach auch weiterhin eine florierende Zukunft bevor.