Melissa Gira Grant über Sexarbeit
Hure spielen
Ob Prostitution legal oder illegal sein sollte, ob es sie geben darf oder nicht, ist zur Gretchenfrage in feministischen Kreisen geworden. Und die Diskussion spaltet Feministinnen allerorts in zwei verfeindete Lager: Während die einen auf das Recht pochen, sexuelle Dienstleistungen verkaufen zu können, fordern die anderen eine Gesellschaft, in der Frauen keinen Preis haben und Männer nicht auf die Idee kommen, sie zu kaufen.
8. April 2017, 21:58
Lässt sich Prostitution also mit Verboten verhindern oder gar abschaffen? Nein, sagt die Journalistin und ehemalige Sexarbeiterin Melissa Gira Grant. In ihrem Buch "Hure spielen. Die Arbeit der Sexarbeit" beleuchtet sie aus US-amerikanischer Perspektive, welche Folgen Verbote für die Sexarbeiterinnen haben. Sie zeigt darin, dass auch die Argumente der Feministinnen oft von Vorurteilen gegenüber Prostituierten geleitet sind.
Projektionen und Vorurteile zerlegt
"Warum haben sie begonnen als Prostituierte zu arbeiten?" Eine Frage, die Melissa Gira Grant weder in Interviews noch in ihrem Buch "Hure spielen" beantwortet. "Dieses Buch ist keine Peepshow" - das betont die Journalistin und ehemalige Sexarbeiterinnen auf den fast 200 Seiten ihrer Streitschrift des Öfteren.
Sie geht darin nicht auf die Motive oder Bedürfnisse der Kunden ein, gewährt keinen Blick hinter die Kulissen der Rotlichtszene und liefert auch keine pikanten Details aus den Memoiren einer ehemaligen Sexarbeiterin. Sex ist zwar Thema im Buch, aber auf einer sehr theoretischen Ebene. Die Autorin zerlegt die kollektiven Projektionen und Vorurteile, mit denen Sexarbeiterinnen Tag ein Tag aus konfrontiert sind, sei es im Umgang mit der Polizei oder in der medialen Berichterstattung.
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Die öffentliche Wahrnehmung von Sexarbeiter_innen ist fast immer primär auf ihre Sexualität gerichtet, oder besser gesagt auf eine Inszenierung von Sexualität, die möglicher- aber nicht notwendigerweise mit ihrer persönlichen Sexualität außerhalb ihrer Arbeit korrespondiert. Das Publikum eines Berichts über Sexarbeit nimmt diese Inszenierung entweder gar nicht wahr, akzeptiert sie also als Wahrheit oder tut sie als "gespielt" und "gefälscht" ab. (…) Dabei erwartet das Publikum von diesen Berichten immer einen erotischen Gehalt, unabhängig davon, ob sie als sexuell stimulierend wahrgenommen werden oder nicht.
Bösen Hure oder ausgebeutete Frau?
Selbst die Prostitutionsdebatte sei als Spektakel angelegt, moniert Melissa Grant. Und Empörung spiele darin eine besonders wichtige Rolle. Diese moralische Entrüstung wird zu einem Bindeglied für gesellschaftliche Gruppen, die sonst selten gemeinsam auf einer Seite des Zaunes stehen: Politisch rechte, christliche Gruppen fordern gemeinsam mit linken Feministinnen ein Verbot der Prostitution, sei es durch die strafrechtliche Verfolgung der weiblichen Sexarbeiterinnen oder die Bestrafung der männlichen Freier. Und beide Gruppen produzieren in ihrem Kampf um eine Gesellschaft ohne käuflichen Sex zwei sehr wirkmächtige Klischees: Das der bösen Hure, die Unschuldige verführt und jenes der ausgebeuteten Frau, das besagt, dass jede Prostituierte ein Opfer unserer von Männern dominierten Gesellschaft ist.
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Das Bild von der Prostitution, das diese sogenannten Debatten antreibt und das sie wiederum produzieren, ist das eines sich ausbreitenden moralischen Übels und der Angst der herrschenden Elite: Sexarbeit ist überall, wird immer mehr, läuft aus dem Ruder, macht Riesenprofite. Sie ist hinter euren Töchtern her, sie ist schon in euren Vorgärten angekommen und wenn doch nicht, dann demnächst.
Betroffene werden nicht gehört
Die Sexarbeiterinnen selbst, ehemalige oder aktive, werden in der Debatte rund um ihren Beruf nicht gehört. Sie werden nur selten dazu eingeladen, sich an feministischen Podiumsdiskussionen zu beteiligen. Melissa Grant untermauert diesen Vorwurf mit zahlreichen Beispielen, etwa den Erlebnissen der feministischen Prostituierten und Gründerin der Bürgerrechtsbewegung Coyote, Margo St. James, bei einer der ersten weltweiten Konferenzen zum Thema Menschenhandel. Margo St. James wollte sich dort an einer Diskussion mit Prostitutionsgegnern beteiligen, ihre Meinung wurde jedoch als befangen und unangemessen abqualifiziert.
Das zeigt laut Grant ein weiteres Problem in der Debatte auf: Diejenigen, die Sexarbeit prinzipiell als Ausbeutung betrachten, vermischen Prostitution und Frauenhandel, Zwang und Freiwilligkeit in ihren Argumenten. Die Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal, die das Vorwort der deutschen Ausgabe von "Hure spielen" verfasst hat, liefert dazu ein interessantes Beispiel. Es handelt von der Fußballweltmeisterschaft 2006 und der Meldung, dass dafür 40.000 Frauen nach Deutschland geschleust werden sollten, um den Fans sexuell zu Diensten zu sein. Die feministische Zeitschrift, für die Sanyal damals arbeitete, war alarmiert.
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Wir diskutierten Boykottaufrufe und verfolgten mit angehaltenem Atem die Bordellrazzien, die Opfer von Menschenhandel finden sollten, aber nicht finden konnten. Das Bundeskriminalamt war ebenso alarmiert und ging in seinem Jahresbericht explizit auf die Fälle von Menschenhandel in Bezug zur WM ein. Und jetzt kommt der Clou: Es gab fünf. (…) Was wir nicht wussten, war, dass die magische Zahl 40.000 bei allen großen Sportevents, wie beispielsweise der WM in Südafrika vier Jahre später oder den Olympischen Spielen in England 2012, erneut zirkulieren würde.
Mithu Sanyal recherchierte, dass diese Zahl Jahr für Jahr gezielt von einer rechtsreligiösen, US-amerikanischen Organisation in Presseaussendungen platziert wurde, um Gesetzesentwürfe gegen Prostitution medial zu untermauern.
Welche negativen Folgen solche Verbote für Sexarbeiter_innen haben, legt Melissa Grant in ihrem Buch in aller Ausführlichkeit dar. In den USA, wo der Kauf und Verkauf von Sex mit Ausnahme des Bundesstaates Nevada verboten ist, reichte der Besitz von Kondomen lange Zeit aus, um in den Verdacht der Prostitution zu kommen und verhaftet zu werden.
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Aus Angst, mit Kondomen verhaftet zu werden, nehmen Sexarbeiter_innen keine Kondome mehr an, die von Hilfsorganisationen, Aktivist_innen oder anderen Sexarbeiter_innen verteilt werden. (…) Es sind diese Risiken und nicht das geschwächte Selbstbewusstsein der Frauen, die dazu führen, dass Sexarbeiter_innen oft weder untereinander noch mit anderen über ihre Erfahrungen sprechen.
"Hure spielen" ist ein Pamphlet
Melissa Grant will denjenigen eine Stimme in der Debatte geben, die bis dato gerne überhört werden, den Sexarbeiterinnen selbst. Dass die Autorin emotional bei der Sache ist merkt man beim Lesen. Denn obwohl die Journalistin zahlreiche wissenschaftlich-theoretische Aspekte und historische Fakten zusammengetragen hat, springt sie doch recht unstrukturiert durch die Thematik. Argumente, die ihr offensichtlich besonders am Herzen liegen, wiederholt sie ein wenig zu oft.
Insgesamt ist "Hure spielen" jedoch ein informatives Buch, besonders was die historische Dimension der feministischen Debatte betrifft. Ein guter Einstieg für all jene, die sich in Zukunft fundierter zum Thema Prostitution äußern möchten.
Service
Melissa Gira Grant, "Hure spielen - Die Arbeit der Sexarbeit", Aus dem Englischen von Georg Felix Harsch, Edition Nautilus