Herta Müller in Wien
Die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller war zu Gast bei den Wiener Vorlesungen und sprach mit dem Historiker Hubert Christian Ehalt über ihr neues Buch: "Mein Vaterland war ein Apfelkern".
8. April 2017, 21:58
Es ist kein Roman, sondern ein langes Gespräch mit der Lektorin Angelika Klammer. Im Grunde ist es eine in ein Interview verpackte Autobiographie - denn Herta Müller antwortet auf Fragen nach ihrer Kindheit im rumänischen Banat als Angehörige der deutschen Minderheit.
Morgenjournal, 15.11.2014
"Es kann einen niemand zwingen so zu werden, wie man erzogen worden ist, oder so zu bleiben. Die Kindheit hat ein ziemlich schnelles Verfallsdatum", sagt Herta Müller in ihrem Buch "Mein Vaterland war ein Apfelkern".
Als Herta Müller mit 15 Jahren aus einem kleinen Dorf in die Stadt zieht, fällt gleich ein Teil der Kindheit in sich zusammen. Denn als Kind hatte sie immer nur Schlechtes über die Städter gehört. Sie habe gesehen, dass an den ganzen Vorurteilen nichts stimmte und musste sich "umerziehen".
Und mit der eigenen Umerziehung hörte Herta Müller nie wieder auf. Sie ließ sich nicht vereinnahmen, weder von der Landsmannschaft der Banater Schwaben, noch von Ceausecus Diktatur. Sie wurde zum Feindbild, für die einen wie für die anderen. Zusätzlich war die Landsmannschaft von Spitzeln des rumänischen Geheimdienstes Securitate unterwandert, sagt Herta Müller.
"Ich habe immer gewusst, dass ich nichts werden will"
Wenn Herta Müller über ihr Leben spricht, dann spricht sie gleichzeitig von der Verweigerung der Diktatur. Schon im Gymnasium, als es darum ging das Parteigedicht auf einer Bühne vorzutragen, entschied sie sich gegen die Profilierung und die Vorteile, die sie daraus gezogen hätte: "Für junge Leute ist Unauffälligkeit nicht selbstverständlich, aber wenn man weiß warum, dann muss man sie immer verfolgen - wenn man sich nicht verraten will."
Später nach ihrem Studium arbeitete sie in einer Fabrik als Übersetzerin. Bald kam ein Geheimdienstmitarbeiter und wollte sie als Spitzel - aber Herta Müller verweigerte. Alle Nachteile, den Verlust ihrer Arbeit zum Beispiel, nahm sie in Kauf.
"Ich habe immer schon gewusst, dass ich nichts werden will. Dass ich alles, was ich tun müsste, um etwas zu werden, nicht tun möchte. Ich war ganz unten und insofern glücklich." Aber dem war nicht so, denn ganz unten gibt es nicht. Es geht ins Bodenlose, denn sie können dich immer mehr, mit immer anderen Methoden kaputt machen."
Herta Müller reiste 1987 nach Westberlin aus. Auch heute lebt sie in Deutschland. Ob sie in Zukunft nicht nur über die Vergangenheit, sondern auch über Aktuelles aus dem 21. Jahrhunderts schreiben werde, wie Soziale Medien oder die NSA? Herta Müller: "Das müssen Leute mache, die in diesen Dingen sozialisiert sind."
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Herta Müller, "Mein Vaterland war ein Apfelkern", Hanser Verlag